„Es war einfach eine von vielen wichtigen Erfahrungen“, sagte Jenna zu mir, als wir uns über endgültige Abschiede und auch ihrer Zeit in Kanada unterhielten. Wenn man Jenna begegnet, ist das Erste, was auffällt, ihre warmen Augen und ihr herzliches Lachen. Sie gehört zu den Menschen, die ihre Erfahrung gerne teilt. Wir haben uns zum Austausch mit Butterbrez´n und Kaffee verabredet. Ein Interview in zwei Teilen. Der zweite folgt in der nächsten Ausgabe.
Beide Eltern entstammten dem Bildungsbürgertum und Jenna wurde, als jüngste von 4 Kindern in der Nachkriegszeit in München geboren. Ihr Vater hatte sich immer ein Mädchen gewünscht und war mehr als glücklich, als sie endlich zur Welt kam.
„Ich denke wirklich, dass ich mit viel Segen auf die Welt gekommen bin.“ , sagt Jenna, „und obwohl alles wirklich bescheiden war, hatte ich immer das Gefühl, dass für mich immer genug da ist.“
Einen Reichtum, den ihr ihre Eltern mitgaben, erinnert sie sich dankbar, war der Anspruch an Bildung, Literatur, Kunst und Kultur: „Schon mit ungefähr 11 Jahren ist mein Vater mit mir in die Oper gegangen.“
Mit 17 Jahren heiratete Jenna und bekam ihren Sohn. „Es war lange Zeit gut“,, erinnert sich Jenna, „aber nach 13 Jahren war es dann Zeit eigene Wege zu gehen“. Ihr Plan zu diesem Zeitpunkt war, erst einmal Karriere machen und sich um ihr Kind kümmern.
Konntest du deinen Plan umsetzen?
Nein, ich habe dann aber doch sehr schnell meine neuen Partner kennengelernt, mit dem ich dann insgesamt zehn Jahre zusammen war.
Mein Lebenspartner war 24 Jahre älter als ich und auf den Tag genau 3 Monate vor seinem 65 Geburtstag starb er. Also eigentlich auch sehr jung. Für mich fühlt es sich heute so an, dass er sich das ausgesucht hat. Ich wäre auf alles gekommen, aber nicht, dass er vor mir sterben könnte.
Dieser für dich unvorstellbare Tod war eingetreten, wie hast du die Zeit erlebt?
Der Schock war entsprechend groß. Es war eine ganz schwierige Zeit. Nach außen hin habe ich funktioniert. Was ich meinem Sohn bis zum heutigen Tag, hoch anrechne ist, dass er das alles mit ertragen hat. Er war, zu dem Zeitpunkt, schon ein junger Erwachsener. Von einer Sekunde zur anderen konnte ich lachen und später lag ich buchstäblich heulend über den Tisch. Man wusste nicht, was das für ein Tag ist und sein wird.
Das war sicher eine sehr schwere Zeit für euch beide. Kinder haben neben ihrer eigenen Trauer, oft Sorgen um ihre Eltern und möchten irgendetwas tun können
Mein Sohn und mein Lebensgefährte mochten und verstanden sich sehr. Auf der Beerdigung hat es ihn auch richtiggehend geschüttelt.
Mein Lebenspartner starb im Mai und mein Geburtstag ist im September. Eigentlich wollte ich gar nicht feiern, ich wusste nicht, wie ich das schaffen soll. Frühmorgens weckte mich an dem Tag mein Sohn, es war so früh, dass ich noch keine Chance hatte selber aufzuwachen und sagte zu mir, ich solle mich warm anziehen.
Er hatte für uns unsere beiden Fahrräder herausgestellt, ein perfektes Picknick gepackt inklusive einer Tageszeitung, Decke, Kaffee und allem drum und dran und dann fuhren wir an einen kleinen Waldsee, der ganz romantisch liegt. Obwohl es ein kühler Tag war, war es so toll. Wir saßen in dicken Anoraks am See und frühstückten fürstlich. Das war etwas ganz Besonderes und hat mich sehr gerührt.
Was für eine schöne Idee. Dein Sohn hat nicht nur besondere Momente, sondern auch besondere Erinnerungen geschaffen
Durch den Tod meines Partners war mein Leben so schlagartig und vollkommen anders. Finanziell war ich abgesichert und musste mir keine Sorgen machen, aber dass erste Mal im Zusammenhang mit dem Tod, die große Bandbreite von Trauerempfindungen erlebt.
Ich hatte das Gefühl ich habe keine Haut mehr und auch die leiseste Berührung, auch wenn sie noch so lieb gemeint war, tat weh. Und dann, die Momente, wo man denkt, man hat etwas schon überwunden und dann zieht man eine Schublade auf und da ist irgendetwas drin und dann ist gar nichts überwunden. Es tat alles weh.
Hattest du eigentlich noch einmal die Gelegenheit, deinen Lebensgefährten zu sehen, nachdem er gestorben war?
Nachdem ich die Nachricht erhalten hatte, sind seine drei Töchter und ich sternförmig zum Krankenhaus gefahren. Dort hatten sie damals nicht damit gerechnet, dass wir ihn noch einmal sehen wollten. Die älteste Tochter, sie ist Ärztin und ich wollten ihn unbedingt noch einmal sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es alleine getan hätte, aber zu zweit haben wir uns getraut. Die Angestellten führten uns in den Keller, wo er sich schon zu diesem Zeitpunkt befand.
Es war ein irritierendes Gefühl, den geliebten Menschen in einer kühlen Schublade, mit einer grünen Schnur um den großen Zeh und Namensschild dran, zu sehen. Dieser Moment war sehr schlimm für uns und wir haben zusammen geweint. Für mich war es so wichtig ihn zu sehen, mit ihm reden zu können und ihn auch noch mal zu streicheln. Gleichzeitig war es auch natürlich furchtbar. Es war rückblickend sooo gut und ich möchte jedem zu raten.
Wie war die Reaktion deines Umfelds, deiner Freunde und Kollegen?
Wie bei vielen Trauernden sind mir viele Menschen aus dem Weg gegangen. Sie wussten nicht, wie sie damit und mit mir umgehen sollten. Ich erinnere mich noch, dass ich auf jemanden zugegangen bin und sagte: „Hab keine Angst vor mir, ich bin noch die gleiche wie vorher. Du kannst mit mir reden wie vorher.“ Einer der ältesten Freunde meines Bruders, ein sehr gut aussehender Hüne von Mann mit einer ziemlich rauen Schale und einen weichen Kern, von dem man das überhaupt nicht erwarten würde, rief mich an und sagte als erstes: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber es tut mir echt leid!“ Diese Warmherzigkeit hat mich sehr berührt.
Und dann war da noch eine bildhübsche Kollegin, die ich bis dahin immer für ziemlich oberflächlich hielt. Ich war auf dem Weg ins Krankenhaus, nachdem ich die Nachricht erhallten hatte, als ich sie traf und ihr sagte: „Mein Freund ist gestorben.“ In diesem Augenblick schossen ihr die Tränen in die Augen und sie nahm meine Hände in die ihren und weinte. Ich weiß gar nicht, ob ich geweint habe, aber es hat mich so berührt. Das war so eine Woge von Mitgefühl und das sind die ersten und stärksten Eindrücke, die ich in Erinnerung behalten habe.
Dieses Mitgefühl und mitgehen können ist enorm wichtig und gut zu erfahren. Welche Unsicherheiten sind dir begegnet?
Die gesamte Bandbreite war dabei. Die, die gar keine Erfahrung haben, über die, die ihre Unsicherheit zugeben können, bis zu denen, die einfach dummes Zeug reden. Aber das dümmste Ende von dumm daherreden, war eine Psychologin, bei der ich ein halbes Jahr später wegen etwas anderem war. Anfangs fand ich sie ganz sympathisch, aber dann sagt sie nach einer Weile, der Tod meines Lebensgefährten war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 6 Monate her: „Sie reden aber noch viel von ihm.“ Da dachte ich mir: „Ja du dumme Gans, ich war doch zehn Jahre mit diesem Mann zusammen und er war bisher der wichtigste Mensch in meinem Leben.“ Das war dann sehr schnell das Ende dieser Sitzung und ich bin auch nie wieder hingegangen, diese Kommentare brauche ich nicht.
Deine Gefühle sind absolut nachvollziehbar. Leider habe ich den Eindruck, dass es keinen trauernden Menschen gibt, der nicht mit unsensiblen Aussagen konfrontiert wird und leben muss. Trauernden begegnen heißt, ihnen mit Herzenssprache zu begegnen
Ganz genau und mit dieser Erfahrung bin ich dann ziemlich genau ein Jahr später nach Kanada ausgewandert. Eine wichtige Erfahrung, die ich auch gerne teilen möchte, ist, dass man keine lebensverändernden Entscheidungen im ersten Jahr nach dem Tod, eines sehr wichtigen Menschen treffen soll. Ich denke, wir sind dann nicht in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen.
Jenna wandert nach Kanada aus und wird Teil der Hospiz Gruppe in Britisch Columbia – Teil II hier
Bo Hauer www.naturheilpraxis-wm.de und www.praxisammarienplatz.de