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Umkehr

Über die Entscheidung sich anderen zuzumuten

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Ich fahre einfach vorbei. Vorbei an der Autobahnausfahrt, die nach Hause führt. Es wird bald regnen. Im Rückspiegel sehe ich die schwarzen Wolken, der sich drohend am Horizont auftürmen. Ich bin die ganze Zeit vor dieser Regenwand hergefahren und frage mich, wann das Unwetter mich einholen wird.

Im Auto ist es heiß. Über 30 Grad zeigt das Außenthermometer an. Die Klimaanlage kann nicht mehr viel ausrichten. Vier ein halb Stunden Fahrt liegen hinter mir und ich bin müde vom Fahren und von der Hitze. Das T-Shirt klebt am Rücken und das Wasser in der Trinkflasche ist lauwarm. Ich könnte in zwanzig Minuten zuhause sein, wenn ich von der Autobahn runterfahren würde. Aber ich fahre weiter. Ich weiß noch nicht wohin. Ich weiß nur, dass ich nicht ankommen will. Zuhause, wo Mann und die drei Kinder auf mich warten. Mein Mann hat mir eine Sprachnachricht geschickt, dass wir reden müssten. Die Kinder hätten Angst und wir hätten schon viel zu lange geschwiegen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube er weint. Seine Stimme hört sich an, als würde sie gleich brechen.

Er werde die Sache heute Abend auf den Tisch bringen.

Ich werde nicht da sein. Ich kralle die Finger fest um das Lenkrad und starre geradeaus durch die Windschutzscheibe auf die Fahrbahn, die unter mir hinweg gleitet.

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Sonntagabend. Wenig Lastwagenfahrer sind unterwegs und der Verkehr rollt stetig und gleichmäßig. Ich bleibe auf der rechten Spur, eingeordnet in den Strom der Autos, die wie auf einer Schnur aufgereiht hintereinander herfahren.

Ich habe schon alles gesagt und kann mir denken, was ich zu hören bekommen werde. Ich sehe uns am Küchentisch sitzen. Auf der einen Seite die Mädchen, alle drei alt genug, um zu verstehen und mein Mann, der alles weiß. Auf der anderen Seite sitze ich, übermüdet von dem Wochenende und der Heimreise und höre mir an, was sie zu sagen haben. Und werde nicht wissen, was ich darauf antworten soll. Sie werden Dinge sagen, die ich schon gehört habe und Dinge, die ich nur ahne. Und alles wird mir vertraut sein, denn ich bin dabei, wenn diese Dinge geschehen. Ich weiß, dass ich nicht ändern kann, was passiert. Es ist, wie es ist und trotzdem werden sie mich anschauen und etwas von mir verlangen, dass ich nicht erfüllen kann. Dass sie auf der einen Seite sitzen werden und ich auf der anderen, wird alles noch schlimmer machen. Bisher ist es wenigstens noch so, dass ich dabei bin, auch wenn ich mich oft nicht dazugehörig fühle. Vieles rauscht an mir vorbei, der Trubel des Alltags, die Erzählungen am Abendessentisch, Sticheleien und Streitereien zwischen den Mädchen. Ich bekomme das mit, erlebe es oft nicht. Vielleicht bin ich dann innerlich an einem anderen Ort. Ich weiß es nicht. Sie sagen, ich würde mich nicht für sie interessieren. Dabei frage ich jeden Abend, wie es ihnen ergangen ist und höre mir ihre Geschichten an. Ich frage nach. Manchmal ist es anstrengend.

Von mir selbst erzähle ich selten und bin froh, wenn sie mich nicht fragen, wie denn mein Tag gewesen sei. Es gibt nichts Besonderes, was ich über meinen Beruf zu berichten hätte. Da gibt es ist nichts Tolles und auch Wäschewaschen, einkaufen, putzen, Bürokram hinterlassen keine Spuren. Ich höre lieber zu. Und manchmal ist auch das zu viel. Viele Stimmen an einem Tisch und es rauscht in meinen Ohren. In solchen Momenten bin ich nicht wirklich da. Und sie meinen, ich interessiere mich nicht für sie. Ich weiß nicht, was mich derzeit überhaupt interessiert. Alles, was ich tue, ist Gewohnheit und Routine und gehört einer Struktur an, die ich mir setze, Tag für Tag. Pflichtgefühl und Disziplin holen mich morgens aus dem Bett und führen mich durch den Tag. Auch wenn die Angst am Ende der Nacht lauert und mich oft zu früh aus den Träumen jagt, stehe ich auf. Eine Angst, als müsste ich eine Prüfung bestehen, die sich im Bauch festkrallt und mir den Appetit verschlägt. Ich beginne den Tag und erfülle meine Aufgaben. Eine nach der anderen hake ich sie ab.

Sie sagen, ich sei immer unter Stress. Das stimmt aber so nicht. Ich fühle mich nicht gehetzt und ich kann nicht sagen, dass mir alles zu viel ist. Aber etwas Grundsätzliches fehlt. Das Leichte und die Freude. Ich erledige die Dinge alle, eins nach dem anderen, weil sie eben zu erledigen sind. Ich funktioniere und unser Alltag funktioniert und eigentlich ist alles gut. Aber dann kommt manchmal ein Kind und will was von mir. Und dann raste ich aus und brülle es an. Auf der Arbeit ist es meist ruhig, selten will jemand was von mir, vielleicht ist auch das ein Problem. Dort gibt es keinen Grund, die Geduld zu verlieren und zu verzweifeln. Aber mein Gehirn ist oft träge und ich arbeite langsam. Ich schreibe mir alles auf, um nichts zu vergessen und hake meine To-Do-Listen ab. Manchmal überhöre ich meine Kollegin, wenn sie mich anspricht. Es strengt mich an, mich zu konzentrieren und Ideen haben meistens die anderen. Ich spreche auch langsam am Telefon. Viele finden das angenehm, dabei bin ich noch mit Zuhören beschäftigt und warte auf meine eigenen Antworten. Ich kenne das alles. Es ist mir vertraut und ich habe mich gewöhnt.

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Die Regenwand im Rückspiegel ist jetzt nähergekommen. Der Himmel verdunkelt sich, erste große Tropfen klatschen auf die Frontscheibe und ich schalte den Scheibenwischer ein. Nur Sekunden später zerschneidet ein Lichtblitz die Wolkenberge, fast zeitgleich folgt der Donnerschlag und ein Sturzregen bricht herunter. Runter vom Gas, Scheibenwischer auf höchste Stufe stellen und Warnblinkanlage einschalten. Im Schritttempo fahren wir hintereinander her. Obwohl die Wischer wie wild über die Scheibe wedeln, kann ich fast nichts erkennen. In Nullkommanichts hat sich die Fahrbahn in eine Wasseroberfläche verwandelt. An den Seiten spritzen die Fontänen an die Fenster. Ich bleibe ruhig. Nur meine Hände umklammern das Lenkrad wieder fester. Ich lasse die Schultern los und atme tief aus. Daheim werden sie sich vielleicht jetzt wundern, wo ich bleibe. Eigentlich hätte ich schon längst ankommen müssen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bestimmt haben sie recht mit allem, was sie wahrnehmen und empfinden. Anscheinend machen sie sich Sorgen, aber ich habe nicht verstanden, ob sie sich um mich oder um sich selbst Sorgen machen. Neulich meinte die Älteste, wir würden nie etwas als Familie machen und jeder lebe so vor sich hin. Andere Mütter würden ihren Kindern kleine Aufmerksamkeiten schenken, mal ungefragt eine Tasse Tee aufs Zimmer bringen oder einen Teller mit Keksen hinstellen. Ich meinte süffisant, ich würde sie wenigstens in Ruhe lassen. Aber anscheinend wünscht sie sich was anderes. Wenn ich an ihre Worte denke, werde ich wieder wütend. Nichts als Erwartungen, die ich erfüllen und Bedürfnisse, die ich stillen soll.

Auch deswegen fahre ich weiter und weiß immer noch nicht wohin. Unter einer Brücke steht auf dem Seitenstreifen ein Motoradfahrer neben seiner Maschine. Er wartet das Ende des Regengusses ab. Und der lässt jetzt nach. Ich verlangsame den Scheibenwischer und erhöhe das Fahrtempo. Die Sonne kommt wieder zum Vorschein und lässt die nasse Fahrbahn dunkel glänzen.

Ich kann ja ausziehen, weg von der Familie.

Der Gedanke ist mir nicht neu. Aber ich habe ihn noch nie ausgesprochen. Er spukte nur manchmal in meinem Hinterkopf herum.

Immer dann, wenn ich meine, es werde mir alles zu viel. Oder wenn sich jemand beklagt, dass ich entweder gestresst sei oder keine Energie hätte. Es sei viel entspannter, wenn ich nicht da sei. Auch das haben sie schon gesagt und würden sie wieder sagen, am Tisch sitzend, alle vier mir gegenüber. Das will ich nicht hören. Auch wenn sie Recht haben.

Wenn ich nicht mehr da wäre, wäre manches leichter. Für sie und für mich vielleicht auch.

In diesem Moment klingelt mein Handy und ich erkenne meine eigene Festnetznummer. Jemand möchte wissen, wo ich bleibe. Ich zögere kurz, schalte die Freisprechanlage an und hebe ab. Wenige Worte am anderen Ende der Leitung. Sie freuen sich darauf, mich gleich wieder zu sehen. Sie packen gerade die Sachen für ein Picknick am See, dort würden wir zu Abend essen. Auf der Picknickdecke sitzt man im Kreis, denke ich und lege nach dem kurzen Wortwechsel wieder auf. Ich nehme die nächste Ausfahrt und kehre nach Hause zurück.

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