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Trauerzyklus – Part II

Ein letztes Gespräch mit Dir

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Sonne – wie immer, wenn ich zu Dir fahre. Mein Navi hat deine Adresse noch vom letzten Mal gespeichert. Die Fahrt ist wie eine Meditation für mich – ich fahre vorbei an den Kopfweiden vor Bockelskamp, am Kloster in Wienhausen, durch richtige Dörfer wie Flettmar und Langlingen und durch Felder und Wiesen. Nach knapp 45 Minuten erreiche ich dein Zuhaus. Dieses rote Backsteinhaus, das in eurer Straße steht wie eine Trotzburg. Ein klares Signal nach außen: hier wohnen „andere“.

Ich liebe dein Zuhaus: Der Eingangsbereich wie eine kleine Kapelle mit seiner Lichtkuppel, die nur schummriges Licht durchlässt. Im Kreis angeordnete Zimmer, die von dieser „kleinen Kapelle“ ausgehen – deins rechter Hand. Langsam öffne ich die Tür und schlüpfe hinein – in deine Bärenhöhle.

Rechts dein Schreibtisch mit PC, überhäuft mit Papier. Papier in Form von Manuskripten, Zeitschriften, Notizen, lose und gebunden … und Bücher. Überall Bücher. Auf dem Schreibtisch, auf dem Boden, in den Regalen ringsrum – sogar auf einem der drei Sessel, die links um den Kacheltisch platziert sind. Das es ein Kacheltisch ist, weiß ich nur aus deinen Erzählungen, denn bisher habe ich nur die Beine zu sehen bekommen. Nie konnte ich einen Blick auf die Tischplatte mit den Kacheln werfen, denn dort lagen … Bücher, Karten, Textausschnitte, Zeitungen und Zeitschriften. Alle wichtig, alle mit wertvollen Aussagen. Dieser Kacheltisch hat eine tiefe Bedeutung für dich – du erwähnst ihn sogar in deiner Biographie. Ein Kacheltisch aus dem Elternhaus …

Ich setze mich in ‘meinen’ Sessel und sehe wie du besorgt die Stirn runzelst. „Wird sie wieder hin und her ruckeln, so dass irgendwann das befestigte Nackenkissen abstürzt?“ lautet die Frage, die du dir stellst. Ich nehme ein paar Bücher von dem Sessel vor mir herunter, um mir Platz für meine Füße zu schaffen. Wieder ein besorgter Blick, der deinen Gedanken „hoffentlich bringt sie mir nicht alles durcheinander“ widerspiegelt. Ein Blick, den ich auffange und weg lächel.

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Nachdem ich mich häuslich eingerichtet habe, kann das Zwiegespräch über Liebe, Hoffnung und Glaube beginnen. Wir ziehen weiter zu den Themen Träume und Ängste und landen irgendwann bei den Aufgaben, die das Leben uns beiden stellt. Du zelebrierst mit mir deinen Yogi-Glauben, erzählst  mir immer wieder wie es wäre, die Vollkommenheit zu erreichen. Schlägst mir vor, bei Dingen, die mich verletzten, ärgern oder nur berühren, einfach mal die Position des Zuschauers einzunehmen, um mit Distanz – ohne Emotionen – zu beobachten. Die anderen, aber vor allen Dingen mich selbst.

Wir reden auch über unsere Texte. Wie oft wir uns gegenseitig inspirieren, zur Feder zu greifen, um das Thema des anderen aufzunehmen oder um eine Gegenthese zu entwickeln. Dies gipfelt schließlich in die Vorbereitung unserer gemeinsamen Lesung „Domino“, die wir leider nie vorgetragen haben – wir hatten ja Zeit …

Aber es war nicht nur eitel Sonnenschein. Wir hatten unterschiedliche Ansichten über Loyalität, Wahrheit und Realität, Mimosenhaftigkeit und einige Vertrauenskonflikte wogen schwer und doch konnte dies nie unsere Zuneigung zueinander gefährden. Wir waren geübt im Nähe-/Distanzspiel und fanden immer die richtige Entfernung zueinander. Wir hatten gemeinsame Visionen. Wir konnten reden, diskutieren, philosophieren und … träumen. Wir waren uns immer nah – selbst in der Ferne.

Als du auf Friederikes Todestag die Diagnose „Speiseröhrenkrebs“ bekamst, spürte ich, dass du sterben wirst, so klar wie 1+1=2 für mich sind. Und auch du schienst es zu ahnen. Der erste Besuch bei dir Hause nach dem ersten Krankenhausaufenthalt und wir reden über das – über dein – Sterben. Du bittest mich, die Trauerrede zu halten und erzählst mir, dass Gerlind damit einverstanden sei.

Bei einem Besuch während der Chemo sagst du zu mir: Wozu kämpfen? Ich habe alles gehabt. Ich habe einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut, ein Buch geschrieben, Kinder und Enkelkinder bekommen. Ich könnte gehen.  … und ich widerspreche nicht, fahre ruhig und wieder ein Mal reich beschenkt nach Hause, weil ich spüre wieviel Halt dir dein Glaube gibt.

… ein weiterer Besuch – dieses Mal im Krankenhaus nach der OP und die Frage von dir an mich: Warum soll ich kämpfen? Wofür? … und ich antworte überrumpelt und mir der Öffentlichkeit im Krankenzimmer bewusst mit Plattitüden: Für Gerlind, für Merle, für Flo, für mich … und doch auf das Simpelste kam ich nicht:

Jeder lebt für sich SELBST !!

Zu Hause erkenne ich, worum es für dich geht. Ich schreibe einen Brief und Gerlind mailt mir kurze Zeit später, dass du ihn mit Tränen in den Augen gelesen hast. Oh ja, auch ich habe dich weinen sehen, meinen großen, starken Bären. Ich nahm dich in den Arm und doch konnte ich nicht trösten …

Du wünscht dir von mir, dass ich Kontakt zu Merle halte. Ihr helfe, deine Texte besser zu verstehen. Du wünscht dir so, dass deine Texte nicht in Vergessenheit geraten und so lange ich lebe, werden 1001 Nacht ; Gefühle; Regentropfen; Seelenbilder; Wandel der Stille nicht sterben. Sie leben in mir so wie Friederikes „Minutenverkäufer“ oder Achims „Schreinerwerkstatt“.

Ach, mein lieber Gerd, beim letzten Besuch hast du über die Weite des Kaukasus gesprochen – Dein Sehnsuchtsland, in dem dein Vater als Kriegsgefangener lange festgehalten wurde und der trotzdem noch ein Mal dahin zurückwollte.

Weite und Frieden hast du dir gewünscht und du bist zu Hause im Kreise deiner Lieben ruhig und friedlich eingeschlafen. Merle war da und hat dir vorgesungen – vielleicht bist du sogar glücklich gegangen.

… und dann weiß ich, was ich mir für Dich wünsche:

Wenn es dir jetzt so richtig gut geht, nimm es an, stell keine Fragen, lass keine Zweifel zu. Du bist es wert, dass es dir gut geht !!!

Es beginnt zu dämmern. Zeit für mich, nach Hause zu fahren. Schwerfällig erhebe ich mich aus meinem Sessel, lass meinen Blick noch ein Mal schweifen. Er bleibt hängen an der kleinen Empore mit deinem Meditationsplatz und an dem Albert-Einstein-Poster. Ich wende mich ab, gehe still hinaus und ziehe fest die Tür hinter mir zu. Nie wieder werde ich deine Bärenhöhle betreten, denn ohne dich ist sie nur ein vollgepackter , staubiger Raum …

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Die Liebe & Der Tod
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