Kolumne ungeschminkt Sonja Tschöpe Tier Sterbebegleitung

Gestern starb Emil.

Der Betreff in der E-Mail lässt mich schwer seufzen. Emil, der grauschnäuzige krummbeinige Terrier mit dem schiefen Blick. Bei unserer ersten Begegnung bellt er mich heiser an. Seine Familie wünscht sich, dass ich noch etwas für sein Alter tun kann. Sie wünschen sich noch etwas mehr gemeinsame Zeit im Leben, hoffen auf einen letzten Nordseeurlaub in 2021. Ich habe beim Anamnesegespräch schon das Gefühl, dass es schwer wird, diesen Wunsch zu erfüllen.

ES IST IMMER ZU FRÜH

Ich bin mir sehr sicher, dass auch seine Besitzer im Moment der Wunschäußerung wussten, dass ich keine gute Fee aus dem Märchen bin. Rückblickend hatten wir leider tatsächlich nur noch wenige Wochen, in denen Emil uns immer deutlicher zeigte, dass es keine kleine Schwäche ist, sondern Sterben. Und „dieses“ Sterben kommt auch bei sehr betagten grauen Schnauzen einfach zu früh. Man hat ein ganzes Leben, oft vom Jungtieralter an mit seinem Tier verbracht. So viele Jahre. Und doch ist die gemeinsame Zeit immer zu kurz. Auf einmal ist die Schnauze grau und man hat einen Senior an seiner Seite.


Wo sind die Jahre geblieben?

Wer hat sie gestohlen?

Als ich Emil zum ersten Mal treffe, ist seine Verdauung aus dem Ruder geraten. Ausgeschlossen werden konnte zumindest schon einmal, dass er einen Giftköder aufgenommen hat. Aber er erbricht immer wieder, hat Durchfall und will oft einfach nicht das sonst so geliebte Futter fressen. Sein Frauchen kocht nun immer mal wieder, aber auch das ist ein Glücksspiel. „Mal nimmt er es, mal nicht. Ich weiß nicht mehr weiter.“

Emil ist 15 Jahre alt. Ein Tierschutzhund mit Happy End, der seit neun Jahren bei seiner Familie lebt und dort der Lebensmittelpunkt wurde. Der Chef des Hauses, um den sich alles all die Jahre drehen musste. Flog man hundelos noch in die Karibik, wurde im 1. Jahr mit Emil der Wohnwagen angeschafft, denn eines war klar: Emil muss mit! Und so bereicherten plötzlich vier Pfoten den Alltag und das gesamte Leben.

Wir sprechen lange bei dieser ersten Begegnung. Emil legt sich in dieser Zeit in sein Körbchen. Er schnarcht leise und ich habe manchmal den Eindruck, er bekommt gar nicht mit, dass ich da bin. Ich frage einiges ab, lasse mir die Befunde zeigen. In eine Denkpause und die Stille im Raum hinein sagt ihr Mann: „Er ist nicht mehr der Jüngste.“ Und wir spüren, worauf er hinaus möchte. Er wendet den Blick ab und ich weiß, dass er zwar stark tut, aber es ihn schlussendlich verletzt. Ich nicke: „Das Leben mit unseren Tieren ist leider im Hier begrenzt. Und ja, Emil ist alt und wir wissen momentan noch nicht, ob es ein kleines Tief ist oder er sich auf eine Reise in ein neues Abenteuer macht.“ Ich bin da offen. Ich wähle mit bedacht meine Worte, aber ich spreche es aus, weil es nichts zu verschweigen oder zu beschönigen gibt.

zu früh - graue schnauzen
Annabel_P-Pixabay 

WIE LANGE HABEN WIR NOCH?

Eine Frage, die wir (Tier-)Heilpraktiker, die aber auch (Tier-)Ärzte gut kennen, oft hören, aber keine zuverlässige Antwort haben. Ich beantworte diese Frage grundsätzlich nicht. Denn ich kenne die Antwort nicht. Ich habe keine Glaskugel, in die ich blicken kann. Und nachdem mir einer meiner ersten Patienten zu Beginn meiner Praxistätigkeit gezeigt hat, dass „Totgeglaubte“ aus noch maximal drei – sechs Monaten ein zweieinhalb Jahre machen können, bin ich erst recht skeptisch bei solchen Zeitangaben. Den Wunsch zu wissen, wann es wie dann vorbei ist, kann ich aber nachvollziehen. Auch ich habe Tiere. Und in 2020 musste ich meine 20-jährige Katze Mischu verabschieden. Ihr Alter stand jeden Tag im Raum, doch sie war topfit, die Blutwerte stabil. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass 2020 unser letztes Jahr wird.

Was ich jedoch immer entgegne ist, dass man die Zeit, egal wie kurz oder lang sie ist, intensiv genießen soll. Mit Achtsamkeit. Ganz bewusst. Sich Zeit für das Tier und diese Momente nehmen, ganz gleich, wie viel Termine der Alltag hat. Denn diese Momente sind unwiederbringlich. Und genau diese Momente sind so kostbar, weil sie sich im Herzen fest verankern und man ein Leben lang daran zurückdenken kann.

DER TOD NIMMT VIEL, ABER NICHT ALLES

Die neun Jahre mit Emil waren auch für seine Menschen intensiv. Mal mehr, mal weniger. Gerade am Anfang konzentrierte sich alles auf den wuseligen Hund. Im Laufe der Zeit lief er mal mehr, mal weniger im Alltag mit. Man hatte Rituale wie das Füttern, das Spazieren gehen, das Spiel im Garten, aber auch die Kuscheleinheit vor dem Zubettgehen. Man gewöhnte sich abends an sein lautes Schnarchen als Spielfilmhintergrundgeräusch, wenn er vollgefuttert auf dem Rücken im Körbchen lag, den Bauch gen Decke gestreckt. Das Wegputzen der Matschpfotenabdrücke auf dem Laminatboden, wenn der sture kleine Mann das Stop-Kommando an der Wohnungseingangstür wieder mal ignoriert und völlig verdreckt das Zuhause stürmte….

Der Tod nimmt zwar ein Leben mit sich, doch da bleibt so viel, was man alles nicht in seinen Erinnerungen und vor allen Dingen als Liebe im Herzen tragen würde, hätte es diese gemeinsame Zeit nicht gegeben.

Und dann kommt fast mit dem Jahreswechsel diese E-Mail mit den drei Worten in der Betreffzeile und löst ein Gefühlswirrwarr in mir aus. Einerseits freue ich mich, dass Emil zu Hause friedlich eingeschlafen ist. Andererseits spüre ich die Trauer seiner Menschenfamilie, die so auf den Sommer 2021 gehofft hatte. Für mich ist das ein bisschen, als hätte ich versagt. Dabei ist das Bullshit. Und das schreibt mir Emils Frauchen auch unbewusst: „Danke, dass sie für uns da waren und uns auf diesen Abschied vorbereitet haben. Wir hätten ihn gerne noch hier, doch das ist vermessen. Er hatte gute neun Jahre bei uns und dafür müssen wir dankbar sein.“

Mach´s gut Emil.

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