Es gibt keinen Lebensbereich der sich nicht seit Auftreten von Corona verändert hätte. Selbst die Art, wie wir uns von geliebten Menschen verabschieden und sie bestatten, musste angepasst werden.
Tom Schröpfer gewährt uns einen Einblick in den Bestatteralltag, zwischen Maßnahmen, Einschränkungen und dem Finden kreativer Möglichkeiten, die den An- und Zugehörigen ein gutes Abschiedsnehmen ermöglichen.
Wie sieht dein Bestatteralltag aus? Was kann ich mir als Laie darunter vorstellen?
Ein Bestatteralltag kann sehr vielseitig sein und dich innerhalb eines Tages auf unterschiedlichste Weise fordern. Im Zentrum steht die Begegnung mit Verstorbenen und ihren An- und Zugehörigen. Zuhören, hinhören, aufmerksam sein und mit den Angehörigen einen für sie stimmigen Weg im Abschiednehmen finden. Das sind wesentliche Teile der Gespräche, neben der Aufnahme und Abwicklung von Formalia. Denn Telefonate, Autofahrten, Teambesprechungen, Datenpflege, Recherche, Sachen packen und einkaufen, gehören genauso zum Alltag. Empathie und das Einlassen auf dein Gegenüber, gehören also ebenso zum Tagesgeschäft, wie routinierte und übliche Betriebsabläufe.
Die Begegnung mit Verstorbenen hingegen, ist in meinen Augen stets so, wie der Tot im Grunde selbst ist: das Normalste und Außergewöhnlichste zugleich. Und so begegne ich den meisten Verstorbenen auch. Es gibt routinierte Abläufe und Griffe, doch ihre Ausführung passt sich immer den Personen an und dann ist doch wieder jede Begegnung anders. Auch hier: aufmerksam und achtsam bleiben – was passt für diese Person?
Und neben Empathie und administrativer Arbeit, sind wir vor allem in unserer Kreativität gefragt. Welche Form des gemeinschaftlichen Abschiednehmens passt für die Menschen, die mir gegenüber sind? Braucht es vor einer öffentlichen Abschiedsfeier ein persönliches Abschiedsritual im kleinen Kreis? Oder danach? Wie kann das aussehen? Und wie wird das Ganze kommuniziert?
“Die Kontaktbeschränkungen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Bestattungsbranche.”
Was hat sich für dich durch Corona verändert?
Die Kontaktbeschränkungen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Bestattungsbranche. Im Frühjahr, kurz nach der Verkündung der ersten Maßnahmen, war es besonders unübersichtlich. Teilweise konnten Menschen auf dem einen Friedhof unter freiem Himmel nur zu sechst an der Grabstelle Abschied nehmen, beim nächsten Friedhof gab es hingegen keine Einschränkung. Dazwischen lag nur eine Orts- oder Verwaltungsgrenze. Bei solchen Unterschieden handelte es sich nicht um wochenlange Zeitfenster, dennoch war es der einen Familie mitunter schwer vermittelbar, weshalb sie beschränkt wurden und andere nicht.
Die Pandemie sowie die stetigen (und im Grunde ja richtigen) Anpassungen der Maßnahmen, haben zu einer neuen Routine geführt: das Abfragen bei Verwaltungsstellen und Behörden bezüglich der Möglichkeiten vor Ort gehört mittlerweile genauso zum Standard, wie das Führen von Kontaktlisten und das Erklären regionaler Unterschiede.
Viele Bestattungsunternehmen haben zudem ihre innerbetrieblichen Abläufe der allgemeinen Maßgabe der Kontaktminimierung angepasst. So wurden beispielsweise Teams geteilt und in Schichten zugewiesen. Das wiederum führte vermehrt zu Übergabeabsprachen und der Neuorganisation der Abläufe: was muss ich dringend im Bestattungshaus erledigen, welche Arbeit kann ich ggf. auch mit ins Homeoffice nehmen?
Neben der erneut genauen Auseinandersetzung mit Hygienemaßnahmen in der Begegnung mit infektiösen Verstorbenen, hat sich durch die Pandemie und ihre Folgen vor allem das Beraten und Begleiten der Angehörigen intensiviert. Zu Beginn der Kontaktbeschränkungen im Frühjahr haben sich viele An- und Zugehörige dazu entschieden, die Urnen ihrer Verstorbenen bis auf Weiteres im Bestattungshaus zu lassen, so dass eine Feier und/oder Beisetzung später, wenigstens im mittelgroßen Rahmen, nachgeholt werden kann. Für die einen fühlte sich das Warten gut und richtig an, andere brauchten diese Schritte zeitnah. Bedürfnisse können so unterschiedlich sein. Aber auch die, die sich für das Warten entschieden, brauchten in den meisten Fällen eine Art Begreifbarkeit der Situation. Ich habe niemanden erlebt, die*der ohne ein wenigstens kleines Ritual in diese unbestimmte Übergangszeit ging. Sei es eine Abschiednahme am Sarg, das bewusste platzieren der Urne in den Räumlichkeiten des Bestattungshauses samt Gedenklicht oder das Errichten eines kleinen Ortes zu Hause, der als Zwischenstation und Fixpunkt galt.
Welche Regeln gelten aktuell bzw. wie schränken diese Bestattungen ein – und – Welche Tipps hast du für Betroffene, um dennoch würdevoll Abschied nehmen zu können?
Aktuell orientiert sich die Anzahl der zugelassenen Gäste bei einer Abschiedsfeier an der Größe der Räumlichkeiten sowie am dort vorliegenden Hygienekonzept. In meiner Umgebung ist mir beispielsweise eine Trauerhalle auf einem Friedhof bekannt, in der bis zu vierzig Personen Platz finden. Abstand einhalten und Mund-Nase-Bedeckung tragen, gehört auch hier dazu.
Abschiedsfeiern genießen glücklicherweise einen Sonderstatus. Das gemeinschaftliche Abschiednehmen bleibt ja trotz allem ein Bedürfnis. Dennoch gibt es viele andere Möglichkeiten für beispielsweise den entfernteren Bekanntenkreis, ihre Anteilnahme auszudrücken und/oder bei einem solchen Ereignis dabei zu sein. Denn auch bei Abschiedsfeiern gilt, was bei allen anderen Teillockerungen besteht: nicht alles was möglich ist, sollte unbedingt umgesetzt werden. Mit Sicherheit ist es eine hilfreiche und unterstützende Wertschätzung, wenn das gesamte Kollegium ders Verstorbenen bei der Abschiedsfeier erscheint und der Familie so ihre Anteilnahme ausdrückt. Doch ggf. bestehen in manchen Konstellationen auch andere Wege, diese Unterstützung zu bekunden und so die Personenzahl bei der Feier selbst zu verkleinern. Im Kollegium oder entfernteren Bekanntenkreis kann eine Schleife oder Kerze gemeinsam gestaltet werden, die sich im Blumenschmuck an der Grabstelle wiederfindet. Die technisch versierte Cousine schneidet ein Video der Clique als Gruß zusammen, der während der Feier gezeigt wird. Der Familie oder dem Bestattungshaus werden Fotos von Freunden ders Verstorbenen zugeschickt, die ihren Weg auf den Sarg oder in die Deko der Abschiedsfeier finden. Oder alle schicken ein Stück Stoff zu einer ausgewählten Person, die daraus eine Decke näht, die bei der Feier über den Sarg gelegt oder in die Deko integriert wird. Die Feier selbst wird aufgezeichnet oder sogar gestreamt und/oder zum Zeitpunkt der Feier hören zu Hause all jene, die nicht vor Ort sind, das Lieblingslied ders Verstorbenen. In den Tagen nach der Beisetzung kommt nach und nach der größere Bekanntenkreis zur Grabstelle, das Blumen- und Lichtermeer wächst und aus einer dazugestellten Schale entnimmt sich jeder einen kleinen Handschmeichler, der an den verstorbenen Menschen erinnert und zugleich ein Stück Gemeinschaft symbolisiert. Das sind kleine Anregungen, die dem Gedanken entspringen, Gemeinschaft spür- und sichtbar zu machen.
“Das sind kleine
Anregungen, die dem Gedanken entspringen, Gemeinschaft spür- und sichtbar zu machen.”
Wie gehst du persönlich mit der neuen Situation um?
Ich bleibe aufmerksam und frage beispielsweise in Pflegeeinrichtungen lieber noch einmal nach, wie die Coronasituation dort ist. Zwar ist das Thema vielerorts bestimmend und prägt den Tagesablauf, dennoch hat sich hier und da eine Sättigung bezüglich Informationsweitergabe eingeschlichen. Das ist menschlich nachvollziehbar, erfordert aber immer wieder Geduld im Nachhaken.
Im Umgang mit An- und Zugehörigen ist es ein Balanceakt: Zum einen möchte ich einen klaren Standard bezüglich Hygiene vermitteln, zum anderen darf das nicht dazu führen, mein Gegenüber zu verunsichern. Generell ist es ja unsere Aufgabe, An- und Zugehörige in eine Selbstwirksamkeit zu bringen. Es ist schwer genug zu vermitteln, dass sie ihre Trauer nicht nur passiv erleiden müssen (auch wenn das für manche die richtige Reaktion sein kann), sondern auch aktiv gestalten können. Das in Zeiten zusätzlicher Regeln und Verunsicherungen zu tun, ist eine besondere Herausforderung.
“… ich bin bezüglich des Gestaltens von Abschieden davon überzeugt, dass Einschränkungen auch neue und andere
Möglichkeitsräume eröffnen.”
Was liegt dir gerade besonders auf dem Herzen?
Was schon vor der Pandemie galt, bekommt für mich jetzt noch einmal besondere Bedeutung: Lasst Euch nicht zu schnell von einem Nein irritieren, denn ja: Vieles geht aktuell wirklich nicht, aber innerhalb der notwendigen Grenzen existieren noch immer viele Möglichkeiten im Abschiednehmen, die ergriffen und entdeckt werden wollen. Ohne die Auswirkungen der Maßnahmen kleinreden zu wollen, bin ich bezüglich des Gestaltens von Abschieden davon überzeugt, dass Einschränkungen auch neue und andere Möglichkeitsräume eröffnen. Mehr denn je sind wir Bestatterinnen darin gefordert hinzuhören und mit unserem Gegenüber herauszufinden, was für sie richtig ist, welche Bedürfnisse gerade formuliert werden wollen und wie das alles mit den gegebenen Bestimmungen in Einklang gebracht werden kann. Fordert Eure Bestatterinnen im besten Sinne heraus. Es ist ihre Aufgabe für Euch da zu sein und mit Euch zu überlegen.