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hand an hut

Letztes Jahr habe ich über die Beisetzung von Henry geschrieben. Es ist gerade mal acht Monate her. Es war auch das letzte Mal, dass ich unsere befreundete Bestatterin gesehen habe, die damals die Beisetzung durchgeführt hat. Henry war ein enger Freund von ihr.

Ich habe Henry’s Mutter bestattet, weil unsere Bestatter-Kollegin schwer und langfristig krank war.
Noch bevor wir offiziell eröffnet hatten rief sie mich an und fragte, ob ich übernehmen könnte. Es wäre ihr wichtig, dass sie Henry und seine Mutter in guten Händen weiß.

Nun haben wir also letzten Sommer Henry bestattet. Und nun unsere Kollegin und Freundin.

Die beste Bestatterin Berlins

So nannten sie ihre Freund:innen auf der Abschiedsfeier.
Mit ihr erlebte ich meine erste Totenwaschung. Damals machte ich ein Praktikum in der Bestattung.

Ich überlegte, wie wir uns eigentlich kennengelernt haben und erinnere mich: Ich hatte mich gerade selbständig als Trauerbegleiterin gemacht und sie und ihre Kolleg:innen veranstalteten in der Kantine des Berghain einen Abend zu irgendeinem Thema, an das ich mich nicht mehr erinnere. Es war Sommer, sehr warm und wir aßen Wassermelone. Danach saßen wir im Biergarten und ihre Kollegin erzählte von der Möglichkeit ein Praktikum machen zu können.
Ich wollte nie Bestatterin werden, aber es reizte mich einmal hinter die Kulissen zu schauen und besser zu verstehen, was Trauernde erleben bevor sie zu mir in die Trauerbegleitung kommen.

Ostern im Jahr danach ging es los.

Klar, deutlich und Karaoke

Wenn ich an sie denke, denke ich an einen super klaren und ehrlichen Menschen. Ich höre noch ihre Stimme, nachdem ich eine weitere Familie für sie begleitet und ihr eine vier-minütige Sprachnachricht mit einem kleinen Bericht geschickt hatte: „Aaaaaaleeeeex, vier Minuten!!!!!!!!“ sie lachte über die Länge der Nachricht und gab mir deutlich zu verstehen, dass vier Minuten viel zu lang sind.

Ich glaube ich habe circa dreimal in meinem Leben Karaoke gesungen und zweimal davon mit ihr. Einmal zum ersten Memento Tag irgendwann vor Corona. Ich bin nicht mehr 100%ig sicher, aber mit ihrer tiefen und vollen Stimme sang sie irgendwas Französisches und es klang mega.

Dann nochmal beim Sommerfest im Garten eines anderen Bestatters. Wir sitzen im Gras in der Sonne und sie spricht über ihre Krankheit, die sie gerade losgeworden war. Keto-Ernährung hatten ihr die Ärzte jetzt ans Herz gelegt. Sie zeigt uns die Port-Narbe und wenn ich mich recht erinnere, hatte sie ihr einen Namen gegeben.

Danach sangen wir im Wohnzimmer Karaoke. Im Garten duftete es nach frisch gebackenen Waffeln.

Während Corona hielten wir uns alle voneinander weitestgehend fern, denn als Selbstständige muss immer jemand verfügbar und gesund sein, der das Geschäft am Laufen hält.

Regelmäßig gab es Updates zum Verlauf ihrer Krankheit, die in anderer Form wiedergekommen war. Mir fiel es ehrlich gesagt schwer passende Worte zu finden.

Im ersten Corona-Winter 2019 beerdigten wir gemeinsam einen Pfarrer-Kollegen. Gemeinsam hatten wir uns immer um die Beisetzung von Sternenkindern eines Krankenhauses im Berliner Süden gekümmert. Er verstarb am 2. Sonntag im Dezember, dem Tag des World Wide Candle-Lighting für verstorbene Kinder.
Nach seiner Beisetzung am 23. Dezember saßen wir anschließend bei uns im Laden und sie erzählte, dass ihre Werte nicht besser werden. Es ging auf und ab.

Im Spätsommer letzten Jahres erfahre ich von Freund:innen, dass sie begonnen hat ihre Bestattung zu planen, weil es nun keine Therapie mehr gibt. Und dann, Ende Dezember einer ihrer letzten Posts auf Facebook: Dass es ihr gut geht im Krankenhaus und dass sie sterben wird. Aber sie glaubt fest daran und hofft darauf, irgendwann mit einem großen Knall von Energie wieder irgendwo aufzuploppen. Ich denke, wenn jemand irgendwann irgendwo wieder energetisch aufploppt, dann sie.

Ende Januar, es ist ein Freitagmorgen, sehe ich dann die Nachricht auf Facebook die ihre Schwester gepostet hat. Sie ist gestorben. Mit 55.

Hey Babe, hey Honey

Nun haben wir ihre Abschiedsfeier gefeiert und seit Wochen geht mir der Segensspruch der Pfarrerin, die in Zivil und als Freundin gesprochen hat, nicht mehr aus dem Kopf. Sie liest gute Wünsche vor und immer, wenn sie sagt „Hey Babe“ oder „Hey Honey“, dann antworten wir alle mit „Take a walk on the wild side“.

Es passt so gut. Wie immer auf Abschiedsfeiern, wenn Freund:innen Geschichten aus dem Leben erzählen oder vorlesen erfahren wir noch neue Dinge über den:die Verstorbene:n. Ich lache und weine gleichzeitig.

Mit Böller-Geknalle verlassen wir die Kirche, ein bisschen Punk muss sein. Ich stelle mir vor, wie sie da irgendwo sitzt, von der anderen Seite zu schaut, laut lacht und sich dazu denkt „Wenn Ihr wüsstet, wie es hier wirklich ist…“ Wir, die wir täglich mit Tod und Sterben zu tun haben. Ihre Feier ist gleichzeitig ein Szene-Treff der alternativen Bestattungsbranche Berlins.

Bye, Babe

Ich habe viel von Dir gelernt. Und manchmal wusste ich gar nicht wie mir geschieht, dass Du mir so vertraut hast. Du warst bekannt, vielleicht schon berühmt und als Du damals sagtest „Ich weiß doch, wie Du arbeitest, da kann ich ganz beruhigt an Dich abgeben“, da war ich so stolz und habe mich geehrt gefühlt.

Bestattung wird für mich immer mit Dir verbunden bleiben. Ich sehe uns noch ganz deutlich bei dem jungen Mann stehen, den wir damals gemeinsam gewaschen und in den Sarg gebettet haben. Wie Du mir alles erklärt und gefragt hast, ob ich überhaupt schon gefrühstückt habe, denn das wäre besser.

Ich danke Dir. Und wünsche Dir von ganzem Herzen Deinen Energie-Plopp. Irgendwann, irgendwo. Und bis dahin: Take a walk on the wild side, babe.

Comments 1
  1. Sehr berührender Bericht was für eine Frau, was für eine Trauerfeier und Beerdigung. Der Plopp kommt ganz sicher! LG Nora 🥰

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