Corona. Lockdown. Wer hätte gedacht, dass uns das Thema noch so lange begleiten wird und wir den Jahreswechsel immer noch eingeschränkt verbringen werden?
Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie viele Hochzeiten, Geburtstage, Jubiläen, Abschiede, Taufen, Hochzeitstage und auch Trauerfeiern dieses Jahr nicht gemeinsam gefeiert werden konnten.
Bei allen „freudigen“ Festen kann man dies vielleicht nachholen. Ist natürlich auch nicht dasselbe. Aber eine verpasste Beerdigung? Ein verpasster Abschied am Sterbebett?
Wir haben einige Familien begleitet deren Angehörige nicht von weiter her anreisen konnten. Wir haben versucht kreativ zu sein…
Warum ist ein Abschied so wichtig?
Meine Kollegin Barbara Till und ich haben überlegt: Eigentlich begleiten uns „verpasste“ oder nicht stattgefundene Abschiede schon immer: Kontaktabbruch (auch sog. „Ghosting“), Suizid, Trennung ohne Aussprache, verschollen/vermisst sein, fliehen müssen…
Das Abrupte, Unerwartete, Unverhoffte. Zurück bleiben wir mit Unausgesprochenem, nicht-Gesagtem. Aber auch mit dem Unvermögen begreifen zu können, was passiert ist, denn die Person ist für uns wortwörtlich „un-fassbar“.
Um beim Beispiel Corona zu bleiben: Wenn ich mich nicht persönlich von einem geliebten Menschen verabschieden kann, fehlen mir die physischen Eindrücke.
Beispielsweise der Geruch am Sterbebett oder bei der Beisetzung. Das Gefühl, die Hand ein letztes Mal halten zu können. Das Holz des Sarges zu fühlen.
Gemeinsam den*die Sterbenden verabschieden, sich gemeinsam halten. Aussprechen können, was noch zu sagen ist. Mit all meinen Sinnen dabei sein und verstehen, sehen, riechen, fühlen, was gerade passiert. (Schmecken klingt jetzt komisch, aber vielleicht ist auch das ein wichtiger Eindruck, zum Beispiel beim Leichenschmaus).
Wenn ich das alles nicht er- und durch-lebe, fehlen mir die Eindrücke zur Verarbeitung.
Wie kann ich diese Eindrücke auch nachträglich noch kreieren?
Indem Du Orte aufsuchst, die für den*die Verstorbene*n wichtig waren, oder an denen Du Dich ihm*ihr sehr verbunden fühlst. Du hast auch die Möglichkeit eine Trauerfeier nachträglich zu organisieren, wenn wir wieder alle reisen bzw. uns mit mehreren treffen dürfen.
Du kannst Dir auch einen Stuhl nehmen, den*die Verstorbene*n dort gedanklich platzieren und Dich richtig in die Situation hinein fühlen. Dann hast Du die Gelegenheit alles auszusprechen, was Dir noch auf dem Herzen liegt.
Ähnlich wäre auch ein Brief, den Du an einem schönen oder mit dem*der Verstorbene*n verbundenen Ort vergräbst, verbrennst.
Du kannst auch darum bitten, dass Dir ein bisschen Erde des Grabes zugeschickt wird und dann darin eine Pflanze pflanzen. Etwas, um das Du Dich kümmern kannst, etwas, das aus der Erde wächst oder die Du zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Grab einpflanzt.
Eine schöne Idee kommt von Anja Pawlowski (Blog ‘untröstlich’*): Steine beschriften mit Worten oder Wünschen und sie ins Meer werfen. Gerade gut bei Wut. Und das Meer können wir besonders erleben: Wir riechen die Meerluft, können das Salz schmecken, die Füße ins Wasser stecken, das Meeresrauschen hören.
Schaffe Dir Erlebnisse, die so viele Sinne wie möglich ansprechen. So dass Du mit Deinem ganzen Körper in die Erfahrung kommst. Umso mehr Du mit Deinem ganzen Körper etwas spüren kannst, umso intensiver kannst Du erleben, was passiert ist.
„Mit allen Sinnen“, wie es so schön heißt. Vielleicht kannst Du eine*n Freund*in, Familienmitglied bitten Dich zu begleiten oder ein Ritual mit Dir gemeinsam durchzuführen, so dass Du Dich etwas sicherer und gehaltener fühlst.