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Ich bin ein Maikind – an einem Sonntag geboren, am 8. Mai – ich liebe Symbolik und eigentlich sollte mir das Glück aus dem Allerwertesten strahlen. Aber nun stehe ich da, an diesem komischen 08. Mai 2019 und mein lieber Mann Steffen ist schon seit drei Monaten tot.

Was soll ich nur an diesem Geburtstag machen? Zu feiern gibt es nichts. Ich habe überlebt und Steffen ist tot. Ich muss allein weitergehen und darauf hoffen, dass Steffen einfach allein vorausgegangen ist, auf irgendeiner Berghütte im Himmel hockt und schon das zweite Bier trinkt, während ich bis zu meinem 85. Lebensjahr durchgehechelt habe und als Runzelelse da oben ankomme und er nur jovial fragt: „Verlaufen oder was?“.

Unser Geburtstagsritual

Jedes Jahr fuhren wir in der Woche um meinen Geburtstag herum in das Riesengebirge nach Tschechien. Dort hatten wir uns stets eine kleines Holzhütte hoch über den Tälern gemietet. So stellten wir uns unsere gemeinsame Zeit im Altenteil vor: Lagerfeuer, Kamin, ein kleines muckeliges Häuschen, was nicht groß Arbeit macht und um uns herum die weite Natur. Und damit wir nicht allein feiern mussten, kamen stets ein paar Freunde aus Berlin mit. Es war wie im Video von „Last Christmas“, nur eben im Frühling und ohne Schnee. Ein Traum, ein absolutes Paradies.

Selbstredend konnte ich nach Steffens Tod nicht mehr dort hin. Diese Hütte ist seither meine persönliche No-Go-Zone.

Seit fast 18 Jahren war Steffen meine absolute Familie. Und danach kamen direkt unser riesiger Berliner Freundeskreis und die restlichen versprengten Familienmitglieder. Versprengt, weil sich nach dem zeitigen Tod bzw. der langen Krankheit meiner Mama die Reste meiner Familie vaporisiert hatten. Jeder lebte auf seine Art einsiedlerisch mit seinem Schmerz.

Also war es nur eine Frage der Zeit, bis Steffen mein wichtigster Mensch wurde und all unsere Freunde die Funktion meiner Familie übernahmen. Alle kannten und mochten Steffen und jeder, der Steffen mochte, besaß nun auch ein Stück Steffen in seinem Herzen und reflektierte auf diese Weise Steffen.

Ich bin fest der Meinung, dass die evolutionäre Entwicklung dahin gehen wird, dass uns in Zukunft eine selbst auserwählte Ersatzfamilie auffangen wird. Wer schon einmal echte Probleme in seinem Leben durchlebt hat, weiß, dass Blut nicht unbedingt dicker als Wasser ist. Und Freunde kann man sich aussuchen, Familie nicht. Wir Städter sind da glaube ich Vorreiter im Finden von Ersatzfamilien.

Design ohne Titel
Dana Heidrich

Der erste Geburtstag ohne Steffen

Wie sollte ich nun diesen ersten Geburtstag ohne Steffen, ohne den Aufenthalt in der geliebten Riesengebirgshütte überstehen?

Und an dieser Stelle übernahm unsere Wahlfamilie mit ihrem großen Herz:

Eine Freundin hatte einen Tisch bei Steffens und meinem Lieblingschinesen in Berlin-Schöneberg gebucht. Ich wusste nicht, wer alles kommen würde, denn ich wurde lediglich von Freunden zuhause abgeholt.

Nach und nach füllte sich das Restaurant mit unseren Freunden. Der typische chinesische Drehtisch war mit den verschiedensten leckeren Speisen überbordend beladen. Alle schnatterten wild durcheinander. Die Speisekarte wurde hoch und runter bestellt. Irgendwann lehnte ich mich zurück und genoss still mit mir das quirlige Szenario. Tiefe Dankbarkeit für meine Freunde erfüllte mich.

Ihr müsst wissen, Steffen und ich liebten China und chinesisches Essen. unsere letzte gemeinsame Reise führte uns nach Shanghai und Peking. Und nun saß meine Wahlfamilie mit mir hier und es fühlte sich an, wie noch vor fünf Monaten in China. Zwar ohne Steffen, aber mit dem Spirit von Steffen in allem.

Mein Herz wurde überwältigt von so viel Liebe. Steffen fehlte in demselben Maße, wie er gleichzeitig durch die Gegenwart meiner Freunde auch dabei war.

Und das beschreibt den ständigen Widerspruch, in welchem man sich als Witwe bzw. überlebender Partner befindet. Tiefe Freude und gleichzeitig tiefer Schmerz.

Der volle Pendelausschlag der Emotionen in einem Moment.

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