Wenn ich gedanklich mein Leben rückwärts vorbeiziehen lasse, treffe ich sie immer wieder an. Diese dämonische Stimme, die mich an mir und meinem Selbstwert zweifeln lässt. Meist ist sie verstummt, mal ist sie leise, mal ruft sie laut und ganz selten schreit sie und übernimmt die Regie in meinem Leben.
In meiner Schulzeit waren es zum Beispiel schlechte Noten und das damit verbundene Gefühl nicht zu genügen, die die Stimme weckten. Überhaupt entpuppte sich die Angst vor Ablehnung zum grössten Treiber meines Todeswunsches. Vor allem in meinen Liebesbeziehungen sollte sich diese Angst vor Ablehnung zur grössten Stolperfalle meines Lebens entwickeln.
Es war im April 2003, als ich beschloss zu sterben. In der Mitte meines Wohnzimmers sitzend, vollgepumpt mit Alkohol und Tabletten, stülpte ich mir einen Abfallsack über den Kopf. Ich empfand die Symbolik der Müllentsorgung damals als sehr passend.
Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, durchfuhren mich zwei Gedanken:
«Nicht einmal das kannst du»
und danach, ungleich intensiver und mächtiger:
«Es ist nicht am mir, mein Leben zu beenden».
Dieser Gedanken gibt mir bis heute, siebzehn Jahre später, immer wieder Kraft. Wenn das Leben wieder einmal Steine auf meinem Weg verteilt hat und ich beginne, an mir zu zweifeln und der Dämon sein Regiebuch auspackt, ist es dieser Gedanke, der mich davon abhält, meine mannigfaltigen Suizidpläne in die Realität umzusetzen.
Begründet auf meinen persönlichen Erfahrungen, beschäftige ich mich seit einigen Jahren leidenschaftlich mit den Themen Stress und Resilienz. Die Frage, wie es dazu kommen kann, dass man sich so wertlos fühlt, dem Sensenmann freiwillig die Tür zu öffnen, treibt meine berufliche Neugierde an.
Der Umgang mit Suizidgedanken ist ein grosses Tabuthema in unserer Gesellschaft. Suizidgedanken sind etwas, dass du nicht haben darfst. Formuliert jemand seinen Todeswunsch, wird er sofort darauf trainiert, keine Suizidgedanken mehr zu haben.
Ich beschreite da einen anderen Weg. Mein Dämon gehört zu mir und ich habe gelernt, mein Leben mit ihm zu teilen. Durch Meditation und Achtsamkeit gelingt es mir, zu vermeiden, dass der Dämon schreit.
Ich behalte dank Gelassenheit, Akzeptanz und Ruhe das Regiebuch in meinen Händen. Schlussendlich geht es im Leben darum, sorgsam mit seinen Energiereserven zu haushalten. Suizidgedanken erlebe ich als enormen Energiefresser. Diese negative Energie in eine positive Richtung zu lenken, darin sehe ich die Chance in der Suizidprävention. Denn das Leben hält noch so viele Überraschungen für uns bereit.