bild zu Artikel Sexualität in der Trauer von Dana Heidrich

Sonntagmorgen. Eingemuckelt im warmen Bett. Vorsichtig öffnest du blinzelnd die Augen. Ein Sonnenstrahl dringt durch die Gardine und kitzelt an deiner Nasenspitze. Du streckst dich und lächelst leise in dich hinein: Noch bist du halb im Dämmerschlaf und gerade hast du von ihm geträumt. Im Traum war alles so schön und vertraut, denn alles war wie immer. Wie jeden Morgen möchtest du ihm deinen Traum erzählen und deine Hand greift hinüber auf seine Seite – ins Nichts.  

In dem Moment spürst du wieder einmal schmerzhaft, wie an jedem Morgen seit diesem Tag, die bittere Realität: Ach stimmt, er ist gestorben, mein Partner ist tot. Dieser schmerzhaften Realisation folgt sofort das bittere Erkennen in Form des furchtbaren Gefühles auf, welches seit dem Tag dein ständiger Begleiter geworden ist: Dieser kratzende Schmerz, der seitdem zwischen Hals, Herz und Magen wohnt und dir seit diesem Tag unentwegt ins Gesicht schreit: Du bist Witwe und du bist jetzt allein!  

Wie gerne würdest du dich jetzt in seine Arme schmiegen, ihm von deinem Traum berichten und den vor euch liegenden freien Sonntag planen. Du stellst dir seine breiten Schultern vor, die neben dir liegen – sie sind weg. Sein Körper, seine Stärke, seine Erscheinung, sein Duft – einfach weg. Das schmerzhafte Nichts.  

Sonntage sind die Hölle, wenn du deinen Partner verloren hast. Sind Sonntage doch die Tage, an denen endlich mal Zeit für Kuschelstunden, Sex und ein faules Frühstück im Bett war. Natürlich war so oft keine Zeit mehr dafür, wie oft hast du lieber in dein Handy geschaut oder wolltest lieber etwas lesen. Und jetzt? Wie sehr wünschst du dir, öfter Ja gesagt zu haben. “Es” öfter getan zu haben. Eines der unendlichen vielen “hätte”, die mit dem Witwendasein einher kommen.  

Diese Leere: im Herzen, im Bett, ist furchtbar.  

Jahrelang war man zusammen, man kannte sich in- und auswendig. Alle Vorlieben, alle Marotten. Er wusste genau, welche Knöpfe er bedienen musste, er wusste genau, was du brauchst.  

Gemeinsam war man so froh, sich nicht auf dem Singlemarkt herumdrücken zu müssen und sich zu haben. Sich aufeinander zu verlassen und einander zu vertrauen. Und plötzlich, über Nacht, bist du Witwe.  

Was ist der Unterschied zwischen Tod und Trennung? 

Der plötzliche Verlust deines Partners kann kaum mit einer Trennung verglichen werden. Bei einer Trennung gibt es immer noch die Chance auf ein Wiedersehen oder einen Neustart. Doch ein Tod ist endgültig. Auch wenn du dich aufgrund einer schweren Krankheit vielleicht darauf vorbereiten kannst, so richtig kannst du dich nicht darauf vorbereiten, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Beim Sterben geht man in Liebe auseinander. Du hast diese Trennung nicht gewollt, niemand hat sich auseinandergelebt – nein: Einer ist einfach gegangen worden. Einfach so.  

Dein Herz ist immer noch mit ihm verbunden, da ist kein Groll, da ist große Liebe, die ausgedrückt werden will. Doch er ist einfach weg. Und dein Bedürfnis nach Sexualität und Kuscheleinheiten ist immer noch da, noch stärker als zuvor. Und da kein „Schluss gemacht“ worden ist, gibt es auch nicht die Erlaubnis, nach einem Neuen zu schauen.  

Das Erste, wovon du dich also nach einem Verlust verabschieden kannst, ist das romantische “für immer”, von dem alle reden. Einer stirbt immer zuerst und wenn du Pech hast, nicht du. Tod ist meistens nur schlimm für die Überlebenden.  

Witwen und Sex – ein inspirierendes Thema 

Vielleicht hast du dir noch nie Gedanken darüber gemacht, denn die Witwen sind doch meistens alt und der jeweilige dazugehörende Partner auch. Aber auch ältere Herrschaften haben noch Sex und brauchen Nähe, ganz genau wie du. Und laut diesem Artikel “Sexy Senioren – Alte haben mehr Sex als früher”  haben manche Siebzigjährige mehr Spaß, als manch jüngerer Mensch.  

Gleichzeitig macht die Vorstellung, die sich hinter dem Begriff “Witwe” verbirgt, so manchen Herren wuschig. Bei ersten Recherchen zu dem Thema stolperte ich auf einem einschlägigen Portal über den Hinweis, dass man sich doch als Mann unter Beerdigungsfeiern mischen sollte, bräuchte doch die Witwe sicher Trost. “Witwentröster” ist nicht umsonst ein geflügeltes Wort, zumal von der Statistik her Männer generell eher sterben als Frauen, sich jedoch gleichzeitig auf jüngere Frauen konzentrieren. Frauen sollten also dankbare Opfer sein.  

In einer Umfrage auf meiner Website dominiert die Angst, verletzt zu werden, dicht gefolgt von der Sorge, noch einmal einen geliebten Menschen zu verlieren. Trotzdem glauben fünfundachtzig Prozent meiner Testteilnehmerinnen, dass sie noch mal jemanden kennen und lieben lernen.   

Wie ist das mit dieser Sexualität in der Trauer? 

Also liegst du nun in diesem plötzlich viel zu großen leeren Bett, in deinem Herz ist immer noch fest der Platz für deinen gerade verstorbenen Partner reserviert – an andere Männer ist gar nicht zu denken. Doch dein Körper fordert Nähe und Liebe.  

Was tun?  

Was mir in meiner Trauer am Anfang geholfen hat, ist mein großer schwuler Freundeskreis: Alle meine Freunde mussten herhalten: “Drück mich mal ganz fest, halt mich im Arm – ich muss einen großen Mann drücken” (ich bin 1,80 m, Steffen war 1,90 m groß). Diese Lösung war für mein geschundenes Herz eine Zeit lang akzeptabel.  

Irgendwann wurde ich neugieriger. Wie geht das jetzt mit diesen anderen Männern? Wenn Männer sowieso nur Sex wollten, dann ist das doch jetzt gerade genau das Richtige für mich? Konnte und wollte ich mich doch gerade nicht binden. Damals war der positive Nebeneffekt der Trauer, dass ich eh keine Angst hatte, praktisch – was sollte mir schon passieren? Wenn mich irgendjemand lynchen würde, wäre ich direkt bei meinem Mann Steffen. Dieser Gedanke ließ mich mutig werden.  

Ich meldete mich bei einer Datingplattform in Berlin an und schrieb hinein: “Ich bin Witwe, willst du der Nächste sein?” und harrte nun der Dinge, die da kommen würden.  

Schwierig war nur, dieses Schuldgefühl loszuwerden: Gehe ich jetzt eigentlich fremd, wenn ich Sex mit einem Fremden habe, doch meinen Mann immer noch so sehr liebte?  

Versuch macht klug. 

So geschah es: irgendwann landete ich mit einem Fremden im Bett. Alles was vorher so vertraut war, war nun vollkommen fremd. Wie tut man da jetzt so? Was erwartet so ein Mann von einem? Alles fasst sich anders an, andere Gerüche, Stimmen und Eindrücke. Ok, also Augen zu und durch.  

Ich kann dir sagen: Das erste Mal nach dem Tod des Partners ist wirklich anders. Aber wie mit allem ist es immer schlimmer, wenn man es sich vorstellt, als wie es dann am Ende wirklich ist. Ich persönlich empfand diese Zwischenstufe auf dem unverfänglichen Datingmarkt als sehr spannend und eine gute Möglichkeit, mich von meinem verstorbenen Mann körperlich zu trennen, um wiederum irgendwann offen für eine neue Beziehung zu sein. 

Ich wollte nicht in eine Beziehung gehen, die nur darauf basiert, meinen Mann zu ersetzen. Eine Qual für beide: für den neuen Partner, der in dieser Konstellation nie genügen kann und natürlich für einen selbst, weil man immer nur vergleichen würde.  

Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen neuen Partner?  

Wir alle wissen nur zu gut, dass sich Liebe nicht planen lässt. Sie kann dir überall passieren. Es ist völlig egal, was die Leute sagen, was man tun sollte, wann man sich verlieben sollte und in wen. Du bestimmst ganz allein, wann und wie es weiter geht.  

Mittlerweile kann ich dir nach fünf Jahren als Witwe sagen: Ich habe jetzt ein polyamouröses Verhältnis mit einem Geist. Steffen hat für immer einen wunderschönen Platz in meinem Herzen – mietfrei. 

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