Stell dir vor, du bist in einer fremden Stadt, es ist großartiges Wetter und du beschließt über den Friedhof zu spazieren. Du passierst Grab um Grab und betrachtest die Inschriften. An einigen hat der Zahn der Zeit zum Teil schon heftig genagt, denn die Schriftzüge sind nur schwer zu erkennen. Hin und wieder gibt es sogar ein Bild zum gravierten Namen. Einige davon siehst du dir für einen Moment an und bei anderen fragst du dich direkt, was sich für eine Lebensgeschichte hinter der Inschrift verbergen könnte. Du schlenderst weiter und dann entdeckst du den einen Grabstein, der nicht nur den Namen und die Lebensdaten des Verstorbenen zeigt – sondern auch ein Rezept, dass dem Toten zu Lebzeiten offenbar besonders am Herzen lag.
Von geliebten Menschen zubereitete Essen sind meist Lieblingsspeisen, die Spuren in unseren Herzen und Erinnerungen hinterlassen. Wenn dann ein Mensch, der auch noch etwas Unvergessliches gekocht hat, stirbt und dieses besondere Rezept nicht erhalten bleibt, mischt sich zum Verlustgefühl auch noch großes bedauern.
Sicherlich gibt es durchaus Menschen, die über den Tod hinaus an ihren kulinarischen Geheimnissen festhalten, gleichzeitig wie so oft im Leben, gibt es die anderen, die es als ihr Vermächtnis verstehen und ihre Rezepte teilen.
Ein Rezept – Zum Sterben zu gut
In den USA sind Grabsteine nicht mehr nur ein Ort des Gedenkens, sondern auch der Erinnerung an die kulinarischen Vorlieben der Verstorbenen. Neben den traditionellen Lebensdaten und Gedenksprüchen finden sich auf einigen Grabsteinen nun auch Rezepte für Spritzkekse, Pfirsichkuchen oder Schokokaramell.
So bleibt die Erinnerung an die Verstorbenen nicht nur in den Herzen der Hinterbliebenen, sondern auch in ihren Rezepten erhalten. Die TikTokerin Rosie Grant (@ghostlyarchive) aus Washington D.C., fand diese einzigarten „Kochbücher des Lebens“ und war sofort begeistert. Sie besucht mittlerweile Friedhöfe in ganz Amerika und kocht oder backt Grab-Rezepte nach und veröffentlicht Videos davon auf TikTok. Ihre Videos haben regelmäßig Hunderttausende von Aufrufen. Zu den Rezepten, die Grant gefunden und zubereitet hat, gehören Naomi Miller-Dawsons Spritz-Kekse, Kathryn „Kay“ Andrews‘ Fudge, Connies Dattel- und Nussbrot und Margaret Davis‘ glasierter Blaubeerkuchen
Süßes Geheimnis gelüftet
Rezepte auf Grabsteinen sind auch in den USA ein relativ neues Phänomen, aber nicht einzigartig. Jahrzehntelang war es das am strengsten gehütete Geheimnis einer israelischen Bäckerfamilie: das Rezept ihres berühmten Zimt-Hefekuchens. Wie die israelische Zeitung “Jediot Achronot” 2005 berichtete, lüftete die Familie das Geheimnis drei Jahre nach dem Tod des Familienoberhaupts und das begehrte Rezept könne nun jeder nachlesen – auf dem Friedhof.
Die nun in Stein gemeißelte Zutatenliste ist einfach. Du brauchst für den Zimt-Hefekuchen:
1 Kg Mehl
50 Gramm Hefe
eine Prise Salz
drei Eier
sieben Esslöffel Zucker
200 Gramm Margarine
anderthalb Gläser Milch
und Zimt nach Geschmack.
Es ist eine liebevolle und kreative Art, an die Verstorbenen zu erinnern. Angehörige scheinen große Freude daran zu haben, die Rezepte ihrer Liebsten zu teilen. Und genau darum geht es, egal, ob du in Gedenken eine Speise geliebter Menschen zubereitest oder ein Grabstein-Rezept kochst – es ist die Erinnerung, die wichtig ist.
Bo Hauer www.naturheilpraxis-wm.de und www.praxisammarienplatz.de