Hallo Tod,
Du wirst von vielen gefürchtet, verflucht und gehasst, dabei bist Du doch so unumgänglich.
Still und leise holst Du die Menschen, nimmst sie bei der Hand und lässt sie dem Leben noch einmal zuwinken, bevor Du sie hinausgeleitest.
Sie fragen sicher, ob sie noch bleiben können, oder?
Im Grunde will niemand mit Dir kommen. Keiner weiß, wohin Du sie bringst. Fällt es Dir schwer, sie mitnehmen zu müssen und ihnen zu erklären, dass sie nicht zurückkönnen?
Manchmal glaube ich, dass Du eine große Bürde auf Deinen Schultern trägst, denn eigentlich wirst Du verurteilt für Taten anderer.
Wir alle erfreuen uns des Lebens, doch ist es nicht schließlich das “Leben”, das tötet und nicht Du? Du räumst nur auf, was es hinterlässt, wenn es mit uns fertig ist und entscheidet, dass es genug ist.
Du darfst es dann erklären, und sagen, dass die Zeit nun vorbei ist. Du wirst beschuldigt und angeschrien, obwohl Du nur das Resultat des endenden Lebens bist.
Wie fühlt sich das an?
Wenn eine Krankheit den Körper zerfrisst, ihn untauglich für das Leben macht, dass es geht und dann kommst Du.
Du siehst sicher den Schmerz in den Augen derer die gehen müssen und derer die noch bleiben. Es geht nicht anders.
Ich glaube, Du nimmst sie alle an der Hand, egal ob groß oder klein, um sie zu leiten und sie zu trösten.
Fällt Dir das eigentlich schwer?
Du unterhältst Dich bestimmt mit den Seelen auf eurem Weg. Sie erzählen Dir dann, wie sie gekämpft und verloren haben. Dabei machst Du keine Unterschiede zwischen den Kämpfen. Dir ist egal, ob eine Frau gegen den Brustkrebs verloren hat oder ein Soldat im Krieg gefallen ist. Für Dich sind sie alle Helden.
Wie fühlt es sich an, wenn Menschen Dir entgegenlaufen?
Wenn sie sich verzweifelt vom Leben losschneiden? Erzählen sie Dir, dass sie es nicht mehr aushielten, dass Körper und Geist gegeneinander arbeiteten und sich schließlich gegenseitig zerstörten?
Fragst Du Dich dann, warum sie nicht genug ernst genommen wurden, als sie erzählten, wie ihre Seele blutete und wie ihr Geist schmerzte? Ärgerst Du Dich dann über die Ignoranz der anderen? Du weißt, dass gerade weil sie ihr Leben liebten, es sie so sehr schmerzte.
Manchmal frage ich mich, ob Du dir auch manchmal so ein Leben wie unseres wünschen würdest, nur um einmal den Schmerz der Liebe fühlen zu können, wie all die Kämpfer, die zu Dir kommen.
Bestimmt hörst Du allen Seelen gerne zu. Erzählen sie Dir von den Tagen, an denen alles perfekt war und ihnen das Leben Blumen zeigte? Oder zeigen sie Dir ihre Leben gleich eigenhändig erschaffener Skulpturen und bei jeder staunst Du denn keine ist wie die andere? Du magst sicher das Glänzen in ihren Augen, wenn sie Dir von ihrem Leben berichten.
Das wird wohl Dein einziger Trost sein.
Ich glaube nicht, dass die Menschen Dich hassen sollten. Schließlich bist nicht Du derjenige, der ihnen Schmerzen bereitet und eigentlich wissen sie das auch. Du schmerzt nicht, es ist die so endgültige Abwesenheit der Liebsten, die schmerzt. Die Tatsache, dass man sie nicht mehr in den Arm nehmen kann, um ihnen zu sagen, wie wichtig sie sind. Es sind die Tage ohne sie, die schmerzen. Es sind die Erlebnisse ohne sie, die wie Stiche in das Herz sind.
Es ist schließlich die Liebe, die die Menschen dazu verleitet Dich zu hassen, nicht Du.
Es ist die Angst der Menschen vor dem, was nach Dir kommt, die sie dazu verleitet Dich zu hassen, nicht Du.
Es ist die Wut, dass das Leben sie verlässt, die die Menschen dazu verleitet Dich zu hassen, nicht Du.
Ich hoffe, den Menschen, die Du mitnimmst, geht es gut.
In Liebe und Dankbarkeit
Fabrizio