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Endlich reden Jessica

Die beste Zeit um über den Tod und das Sterben zu schreiben ist für mich nachts. Weil nachts die Welt auf eine gewisse Art und Weise still steht, der Verstand zur Ruhe kommt und der alte Tag gestorben ist, bevor am nächsten Morgen der neue Tag geboren wird.

Ich liebe die Nächte, liebe es nachts zu arbeiten und irgendwie war das schon immer so, denn nachts habe ich wenig Ablenkung und öffnet mir den Raum, um konzentriert an einer Sache dran zu bleiben. So saß ich an einem Sonntagabend gegen 22:30 Uhr an den Antworten zu folgenden Fragen.


Welchen Einfluss hat der Tod auf Dein Leben?

Wenn ich ehrlich bin, finde ich die Frage an sich gar nicht leicht zu beantworten. Mein allererster Impuls als Antwort auf diese Frage war: Vollen oder eben gar keinen. Oder anders ausgedrückt, auf wessen Leben hat der Tod keinen Einfluss?

Als Kind hab ich mir immer versucht vorzustellen wie es ist tot zu sein. Ich wusste, dass ein Mensch stirbt, wenn er nicht mehr atmen kann. Also habe ich häufig versucht so lange die Luft anzuhalten, bis mein Herz aufhört zu schlagen. Ich wusste ebenfalls, dass ein Mensch unter Wasser nicht atmen kann. Also habe ich, vor allem in der Badewanne, versucht so lange unter zu tauchen, bis mein Herz aufhört zu schlagen und ich tot bin.

Wie du dir vorstellen kannst, ist mir weder das eine noch das andere gelungen. Egal wie oft ich beide Varianten geübt habe und völlig egal wie lange ich es ausgehalten habe nicht zu atmen, kam ausnahmslos immer irgendein Impuls, der dazu führte, dass ich tief Luft holte und weiteratmete. Auf diesen Impuls habe ich willentlich keinen Einfluss.

Vor Friedhöfen hatte ich immer Angst. Als ich acht Jahre alt war, sind wir mitten in die Wallapampa in ein Dorf gezogen. Unser Haus war so weit ab vom Schuss, dass die einzigen Nachbarn die Kläranlage rechts von uns und ein Friedhof etwa 50m oberhalb unseres Hauses waren. Dazwischen Wiesen und Wald. Ich hab mich die erste Zeit nie am Friedhof vorbei getraut. Er war mir zu gruselig. Ich bin bis an seine Grenzen heran gelaufen, um dann schreiend wieder zurück nach Hause zu laufen.

Als ich 16 Jahre alt war starben mein leiblicher Großvater, den ich zu dem Zeitpunkt nur etwa zwei Jahre kannte, und mein Stiefopa im Abstand von etwa zwei Stunden. Ersterer sollte an dem Tag aus dem Krankenhaus entlassen werden. Er war über den Berg und keiner der Menschen im Krankenhaus konnte sich so richtig erklären, wieso er so plötzlich Tod war. Bei meinem Stiefopa war das anders. Er hatte ASL und diese Krankheit führt unweigerlich zum Tod. Meine Mutter hat ihn beim Sterbeprozess begleitet. Mein kleiner Bruder und ich waren an dem Tag mit im Haus meiner Großeltern. Als er dann Tod war, ging ein tiefer Atemzug durch meine Lungen und Erleichterung machte sich breit.

Als ich die Schwangerschaft von meinem Erstgeborenen feststellte, war ich höchstens in der 2. Woche schwanger. Also sehr früh. Laut errechnetem Geburtstermin sollte ich in der 7. Woche sein. Das Ding ist nur, ich habe keinen 28 Tage Zyklus. Hatte ich noch nie und somit funktioniert diese Berechnung nicht. Meine damalige Frauenärztin ignorierte meine Einwände, ob ich einfach in einem viel früheren Stadium der Schwangerschaft bin und man deshalb noch keinen Herzschlag auf dem Ultraschall sehen kann und wies mich in die Klinik mit dem Verdacht auf Eileiterschwangerschaft ein. Ich weigerte mich dort über Nacht zu bleiben und vereinbarte mit der Ärztin dort, dass ich täglich zum Ultraschall vorbeikommen soll und das ganze so lange, bis klar ist, ob es sich um eine normale Schwangerschaft handelt oder eben nicht. Ich sollte recht behalten. Am Ende der dritten, Anfang der vierten Schwangerschaftswoche attestierten mir die Ärzte,

was ich von Anfang an wusste und kommuniziert habe. Nur wenige Stunden nach dem offiziellen Bescheid meiner Gynäkologin, dass mit meiner Schwangerschaft alles in Ordnung ist, verstarb der Großvater meiner Kinder. Sein Wunsch, einen Enkel geschenkt zu bekommen, wurde erfüllt und so konnte seine Seele (auch ohne, dass er zu dem Zeitpunkt von meiner Schwangerschaft wusste) weiterziehen und er starb.

Welche drei Dinge möchtest du erreicht oder erlebt haben, bevor du stirbst?

Welche drei Dinge!? Mm, also eigentlich, und uneigentlich auch, ist es nur noch eine Sache, die ich gerne erleben möchte, bevor ich sterbe. Zuerst wollte ich schreiben, nichts mehr. Dann kamen mir lauter Dinge in den Sinn, von denen ich schnell merkte, dass sie nur meinem konditionierten Verstand entsprungen sind.

Die eine Sache, die ich wirklich gerne noch erleben möchte, bevor ich sterbe, ist einen Mann wirklich lieben zu können und mit ihm eine gesunde Beziehung auf Augenhöhe zu führen. Also falls mir das in diesem Leben vergönnt sein sollte, dann ist es diese eine Sache.

Alles andere, dass habe ich bereits erreicht. Ich habe zwei wundervolle Kinder geboren und so das Leben weitergegeben. Na klar möchte ich gerne noch erleben wie sie erwachsen werden und ich eines Tages Großmutter werden. Und wenn ich da hineinfühle, weiß ich, dass ich alt werde und so einiges dort noch erleben darf. Darauf freue ich mich.

Naja und die dritte Sache, die ich schon immer erleben bzw. erreichen wollte, war es ein Buch zu schreiben. Auch das hab ich mehr oder minder erreicht und Co-Autorin in dem wundervollen Buchprojekt von Sabrina sein zu dürfen ist schon cool.

Darüber hinaus bin ich kein Mensch der Löffellisten führt. Oder besser gesagt nicht mehr. Aus dem

einfachen Grund heraus, dass ich festgestellt habe, dass sich dort häufig Wünsche ansammeln, die aus meinem Ego heraus entstehen und die erfüllen sich eh nicht und wenn sich sich einmal erfüllt haben, dann haben sie immer einen Preis gekostet und waren am Ende nur nach Außen schön. Also bin ich dazu übergegangen das sein zu lassen und mich stattdessen auf das Abenteuer Leben einzulassen. Fühlt sich authentischer an für mich.

Was für eine Art Sterben wünschst du dir?

Oh, diese Frage ist leicht für mich zu beantworten. Wenn es so weit ist, möchte ich einfach gehen. Dass meine Seele den Körper verlässt und gut ist. Und für meinen Körper möchte ich, dass er verbrannt wird und seine Asche der Natur zurück gegeben wird. Da will ich dass meine Asche in einer verrottbaren Urne (keine Ahnung, ob es so was gibt, aber bis dahin ganz sicher) im Wald unter einem Baum begraben wird. Am liebsten unter einer Eiche. Darüber blühen dann im Frühjahr die Veilchen und im Sommer und Herbst das Moos.

Einen Grabstein will ich nicht. In der schamanischen Kosmologie heißt es, dass der Grabstein die Seele am weiterreisen hindert und sie hier auf der Erde festhält. Das geht sehr in Resonanz mit mir. Für mich fühlt sich allein die Vorstellung (ich habe das mal durch meinen Körper durch gefühlt), dass mein Körper unter einem Grabstein liegt, sehr beengend und beklemmend an. Ich brauche Freiheit, Luft zum Atmen und Weite und gleichzeitig die tiefe Verbundenheit zur Natur. Jetzt, beim Schreiben, wo ich da so hineingehe in das Feld, merke ich, dass dieser Wald am Meer sein wird oder besser gesagt ist es. Das heißt dann wiederum auch, dass ich in meiner Heimat, dem Erzgebirge, nicht beerdigt werden will.

Wo brichst du ungeschriebene gesellschaftliche Regeln?

Eine spannende Frage. Spannend deshalb, weil sie voraussetzt, DASS ich ungeschriebene gesellschaftliche Regeln breche. Die Frage, die stattdessen in mir hoch kam war, tue ich das überhaupt? Und das wiederum kommt auf die Perspektive an aus der ich das Ganze betrachte.

Lass es mich gern erklären. Ich habe einen Anteil in mir, der sehr angepasst und zurückhaltend ist. Auf den ersten Anschein wirkt das vielleicht gar nicht so, dennoch ist dieser Anteil in mir definitiv vorhanden. Entstanden ist dieser in meiner Kindheit aus einem puren Überlebensinstinkt heraus. Der Counterpart dieses Anteils ist eine rebellische, auf Krawall gebürstete Jessica, die da sagt: ‚sterben muss ich und sonst gar nichts.‘. In meiner Vergangenheit gingen diese beiden mehr oder minder getrennte Wege und je nach Lebensbereich ordnete ich mich völlig unter, so dass am Ende kaum noch etwas von mir übrig blieb oder ich lehnte mich so dermaßen gegen alles auf, dass ich als einsamer Don Quichote durch die Gegend lief und mir wenig Freunde damit machte.

Nachdem das Leben mich dazu brachte hinzuschauen und ich begonnen habe mir meinen Dreck

anzuschauen und ihn aufzuräumen, schloss sich dieser Spalt zwischen diesen beiden schier gegensätzlichen Anteilen und nun laufen beide mehr und mehr Hand in Hand.

Was jedoch geblieben ist und wohl immer so sein wird ist, dass ich Dinge nicht tue, nur weil alle es so machen oder jemand daherkommt und es von mir verlangt. Ich möchte dir dazu gern ein Beispiel bringen. Bei der Bundeswehr gibt es so genannte „gemeinschaftliche Veranstaltungen geselliger Art“ oder kurz gesagt Feiern. Diese fanden zu allerlei Anlässen statt. Wir waren gemäß Dienstplan dazu verpflichtet für eine angesetzte Zeit x dabei zu sein. Nach Ablauf dieser Zeit x waren die Veranstaltung jedoch nicht vorbei, sondern die Feier ging weiter und es wurde (ungeschrieben) erwartet, dass alle Beteiligten länger blieben.

Nun ja, alle blieben, bis auf eine. Diese eine ging nach Ablauf der Pflichtzeit und das war ich. Ich erinnere mich noch gut an die Feiern an der Offizierschule. Dort hießen diese in internen Kreisen „Natoübung blauer Papagei“. Dort floss Alkohol und das reichlich. Da waren Hierarchien auf einmal egal und der Inspektionschef machte einen auf du und du und mir war das zuwider. Also entzog ich mich dem Ganzen und ging. Einfach weil ich mich unwohl fühlte, mir all das zu blöd gewesen ist und ich mit dieser Doppelmoral, die in jenen Momenten so offen zu tage kam, nichts anfangen konnte und auch nicht wollte. Hinzu kam, dass viele alkoholisierte Menschen auf einen Haufen mich ganz schön triggern und ich nicht bereit war das auszuhalten.

Mein Verhalten verschaffte mir den Ruf von „Die Josiger, die denkt, die ist was besseres, denn sie will nichts mit uns zu tun haben.“. Ob ich wirklich dachte, ich sei was besseres, das weiß ich nicht. Was jedoch definitiv stimmt ist, dass ich mit solchen Verhalten nichts zu tun haben wollte.

Und heute?

Heute kommt es ganz auf die Perspektive an, ob ich gegen ungeschriebene gesellschaftliche Regeln

verstoße. Aus Perspektive der Gesellschaft ganz bestimmt sogar. Aus meiner Perspektive würde ich sagen nein. Nein, weil ich mir ein Umfeld geschaffen habe und auch immer noch dabei bin das zu tun, in dem ich sein darf wie ich bin und ich entsprechend Menschen um mich herum habe, die ähnliche Werte mit mir teilen und wo eine tiefe Verbundenheit auf Seelenebene da ist. Heute kämpfe ich nicht mehr gegen das System oder die Systeme, sondern nehme das Beste aus ihnen mit und übe mich darin mit den Systemen zu arbeiten und sie für mich zu nutzen.

Kleiner Zusatz: Ich hab doch nicht alle Antworten in einer Nacht heraus schreiben können. Sabrina’s Fragen haben am Ende dann doch mehr mit mir gemacht, als ich das zunächst angenommen habe und so ist ein Schreibprozess entstanden, in dem ich mit den Impulsen und mit meinem Fluss geschwommen bin. Danke an dieser Stelle an Sabrina, für die Ermöglichung dieser Erfahrung.


Wer ist : Jessica Josiger

Ich bin eine ewige Seele, die vor zeitloser Zeit beschlossen hat, sich in ihrer vollkommenen Schönheit und Ganzheit zu erfahren.

Jessica Josiger – Kolumne Die sprirituelle Nomadin spricht

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Sie ist “Die spirituelle Nomadin, die spricht”, stammt aus dem Erzgebirge und lebt mit ihren beiden Kindern in Flensburg. Ihr wird nachgesagt, dass sie mit ihren Worten Fragen beantwortet, die über Grenzen hinausgehen.
Nach menschlicher Etikette ist sie, wie sie selbst sagt, außerdem Diplom Pädagogin, Traumafachberaterin, Schamanin, zertifizierte Olineberaterin, Offizier und tollerweise viaMag Kolumnistin, die neue und-oder alte Perspektiven eröffnet, um wieder mit sich und der Welt in Verbindung zu treten.

Kolumne ‘Die spirituelle Nomadin spricht’

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