Heute wende ich mich mit meinen Worten zur Abwechslung einmal nur indirekt an Sterneneltern. Heute möchte ich mich gezielt an medizinisches Fachpersonal – seien es Ärzt:innen, Pflegefachkräfte oder Hebammen – wenden. Zuallererst: Von Herzen danke für Ihre wertvolle Arbeit, die vielfach mit Sicherheit mehr Berufung denn Beruf ist. Danke für Ihren unermüdlichen Einsatz für Leib und Leben Ihrer Mitmenschen, welche Ihnen anvertraut sind. Einfach danke!
In meinen Begleitungen verwaister Eltern – und auch in meinen ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Thema Kindsverlust – wird immer wieder deutlich: Ihre empathische Begleitung, sei es in der Kommunikation oder auch im praktischen (Klinik-)Ablauf, ist immens wichtig für betroffene Eltern bei und nach der Diagnose Kindsverlust.
Wie wichtig, verdeutlicht Ihnen vielleicht mein heutiger Artikel:
„Valerie sitzt auf dem Behandlungsstuhl ihres Gynäkologen. Sie ist voller Vorfreude und sehnsüchtig in diesen heutigen Termin gestartet. Denn: Valerie ist schwanger und dies ist ihr erster Ultraschalltermin. Endlich, nach gefühlt endlosen Wochen des Wartens, darf sie nun das kleine Wunder in ihrem Bauch betrachten. Zu dieser Zeit und in dieser Schwangerschaftswoche müsste das Baby mit seinen kleinen Ärmchen und Beinchen schon gut erkennbar sein. So zumindest ihre Vorstellung.
ICH FINDE LEIDER KEINEN HERZSCHLAG. IHR KIND HAT SICH ANSCHEINEND NICHT WEITERENTWICKELT.“
Der Arzt beginnt zu schallen, bewegt den Ultraschallkopf rastlos über ihren kleinen, bereits sichtbar werdenden Babybauch und ist dabei ganz still. Dann beendet er die Untersuchung, wendet sich Valerie zu und sagt die Worte, die keine Mutter je hören will: „Ich finde leider keinen Herzschlag. Ihr Kind hat sich anscheinend nicht weiterentwickelt.“
Valerie spürt, wie die Tränen unaufhaltsam und heiß in ihren Augen aufsteigen. Gleichzeitig vermag sie keine Worte zu finden. Und irgendwie ist da auch einfach eine übergroße Leere. In ihrem Kopf, ihrem Herzen und in ihrem Bauch.
„Es tut mir sehr leid, dass Ihnen dieses schwere Schicksal widerfährt. Dafür gibt es keine wirklich tröstenden Worte und ich möchte auch nichts beschönigen. Wir wissen leider oft nicht warum, aber viele Frauen verlieren – besonders in den ersten 12 Wochen – ihr Baby. Vielleicht kann Ihnen der Gedanke, dass Sie mit dieser Erfahrung nicht alleine sind, ein wenig Trost spenden.
Ich gebe Ihnen gerne ein Ultraschallbild Ihres Babys mit und selbstverständlich stellen wir Ihnen noch einen Mutterpass aus. Das ist wichtig, damit Sie ein Andenken an Ihr Kind und diese Schwangerschaft haben und als Mutter den Verlust Ihres Kindes betrauern können.
Wenn Sie Fragen haben oder Unterstützung benötigen – wir sind für Sie da! Und auch die Hilfe einer Hebamme dürfen Sie selbstverständlich in Anspruch nehmen.
Wenn Sie dazu bereit sind, erkläre ich Ihnen jetzt noch die verschiedenen Möglichkeiten für die Geburt Ihres Kindes. Schon einmal vorweg: Sie haben Zeit und müssen jetzt keine übereilte Entscheidung treffen …““
Diese Geschichte ist von mir komplett frei erfunden. Und doch würde sich wohl jede Mama, die in die Horrorsituation Kindsverlust gerät, genau solch eine empathische Begleitung wünschen.
DER EINSTIEG IN DAS THEMA KINDSVERLUST EBNET SOZUSAGEN DEN GRUNDSTEIN FÜR DEN WEITEREN TRAUERPROZESS DER ELTERN.
Aber warum ist ein empathischer Umgang mit Betroffenen eigentlich so immens wichtig?
Der Einstieg in das Thema Kindsverlust ebnet sozusagen den Grundstein für den weiteren Trauerprozess der Eltern.
Als medizinisches Fachpersonal sind Sie häufig der erste Kontakt während oder nach der Diagnose und so können Sie die Eltern mit Ihrer Begleitung darin unterstützen, nicht nur nicht traumatisiert, sondern langfristig sogar gestärkt aus der Erfahrung Kindsverlust hervorzugehen.
Mehr zum Thema posttraumatisches Wachstum bei Sterneneltern ist hier in einem weiteren Artikel von mir zu finden.
Das „Warum“ für eine empathische und einfühlsame Begleitung verwaister Eltern ist somit klar ersichtlich.
Wie kann diese einfühlsame und empathische Begegnung nun aber ganz praktisch aussehen?
In meinem fiktiven Beispiel zur Veranschaulichung waren dies besonders die folgenden Punkte:
Betroffenheit aussprechen
Sagen Sie gerne, dass Ihnen das Schicksal der Eltern leid tut. Seien Sie auch ehrlich, wenn Ihnen die richtigen Worte vielleicht gerade fehlen und sagen Sie genau das. Zeigen Sie sich menschlich und authentisch. Professionelle Nähe statt professioneller Distanz ist das, was Betroffene in dieser Situation auffängt.
Das individuelle Schicksal nicht relativieren
Vermeiden Sie es darauf hinzuweisen, dass Ihnen Fehlgeburten in Ihrem Arbeitsablauf tagtäglich begegnen. Ja, es passiert leider so vielen Frauen – aber das macht das einzelne Schicksal dieser Frau, die jetzt gerade vor Ihnen sitzt, nicht weniger schlimm. Ein Hinweis darauf, dass die Eltern mit diesem Schicksal jedoch nicht alleine sind, schafft bei den Betroffenen ein Gefühl von: „Ich muss das nicht alleine durchstehen.“ Eine kleine Veränderung in der Kommunikation, mit einer großen Auswirkung auf die Gefühle der Eltern.
Abstand von rein medizinischen Begrifflichkeiten
Auch wenn es medizinisch korrekt wäre – sprechen Sie bitte nicht von DEM Fötus, DER Fehlgeburt oder DER Missed Abortion. Benennen Sie es als das, was es ist: Das Kind dieser trauernden Eltern. Vielleicht gibt es sogar bereits eine Namenswahl für das Baby – dann „nennen Sie das Kind beim Namen.“
Andenken an das Kind und die Schwangerschaft schaffen
Ultraschallbilder und Mutterpass sind – besonders in frühen Schwangerschaftswochen – das einzig Greifbare, das den Eltern nach dem Verlust ihres Kindes bleibt. Geben Sie diese wichtigen Erinnerungsstücke den Eltern unbedingt an die Hand. Sie werden vermutlich einen großen Anteil in deren Trauerarbeit einnehmen.
Unterstützung und Hebammenhilfe anbieten
Vielleicht tauchen im Nachgang Fragen bei den Eltern auf, wenn der erste Schock über die Diagnose sich legen konnte. Bieten Sie Ihre Unterstützung an und weisen Sie auch darauf hin, dass jede Frau – und sei die Schwangerschaft auch noch so jung – Anspruch auf Hebammenhilfe hat.
Aufklärung über Geburtsmöglichkeiten
Klären Sie die Eltern in Ruhe über die verschiedenen Möglichkeiten auf, das verstorbene Kind auf die Welt zu bringen. Neben der Kürettage kann die Mutter ihr Kind etwa auch in einer kleinen Geburt selbstständig zur Welt bringen. Ihren eigenen Weg sollten die Eltern in jedem Fall gut aufgeklärt und selbstbestimmt wählen dürfen.
Zeit zum Begreifen und für Entscheidungen einräumen
In aller Regel wird es direkt nach der Diagnose Kindstod keinen Grund zur Eile und zu überhasteten Entscheidungen hinsichtlich der Geburt geben. Entlassen Sie die Eltern aus der Praxis mit dem Hinweis auf genügend Bedenkzeit für deren weiteren Weg.
DENN SIE HABEN DIE GROSSARTIGE CHANCE, DIE ELTERN GESTÄRKT IN DIE ERFAHRUNG KINDSVERLUST ZU BEGLEITEN UND EIN STABILES FUNDAMENT FÜR DEREN TRAUERWEG ZU EBNEN.
Wahrscheinlich werden viele dieser angesprochenen Punkte für Ihre Arbeit bereits eine Selbstverständlichkeit sein. Vielleicht darf ich Sie aber auch dazu einladen, die Begegnung mit betroffenen Eltern nochmal zu reflektieren und neue Strukturen zu etablieren, wo es Raum für Ihrer Meinung nach sinnvolle Veränderungen gäbe.
Vor allem bin ich Ihnen dankbar, dass Sie sich die Zeit nehmen und sich der Wichtigkeit dieses Themas bewusst sind. Denn Sie haben die großartige Chance, die Eltern gestärkt in die Erfahrung Kindsverlust zu begleiten und ein stabiles Fundament für deren Trauerweg zu ebnen.
Sie wünschen sich zu diesem Thema Unterstützung?
In meinem Workshop „Empathischer Umgang mit Eltern, die ihr Kind verloren haben“, zeige ich Ihnen Wege auf, wie Sie betroffenen Eltern empathisch und wertungsfrei begegnen können und ich unterstütze Sie bei Bedarf dabei, ein auf Ihr Haus abgestimmtes Konzept für die Begleitung von Familien bei und nach Kindsverlust auszuarbeiten.
Alle Informationen sowie Kontaktmöglichkeiten finden Sie hier.
Herzliche Grüße
Julia von Julia begleitet