„Seltsam. Dass der nächste Tagebucheintrag ausgerechnet heute folgt. Heute ist nämlich der bislang schwärzeste Tag in meinem Leben. Warum habe ich mir in den letzten Wochen nicht die Zeit genommen ein paar Gedanken und Gefühle aufzuschreiben? So erscheinen, die zurückliegenden Wochen irgendwie unbedeutend. Aber das waren sie nicht. Sie waren die einzige Zeit, die ich mit unseren Kindern je haben werde.“
(Tagebuch-Auszug am Tag der Diagnose)
An die Möglichkeit einer Fehlgeburt habe ich, überhaupt nicht gedacht. Wenn ich schon schwanger geworden bin, dann würde es auch gut gehen, genau wie beim ersten Kind. Ich war so stolz, glücklich und durchweg positiv gestimmt. Fast schon sorglos.
In der Nacht vor der Vorsorge-Untersuchung habe ich unglaublich schlecht geträumt. Viele Frauen berichten im Nachhinein über eine böse Vorahnung. Während des Ultraschalls wurde meine Ärztin dann plötzlich sehr still. In diesem Moment war es mir, eigentlich schon klar. Sie konnte leider keinen Herzschlag mehr finden. Ich hatte eine so genannte missed abortion, eine stille Fehlgeburt, die vom Körper zunächst unbemerkt bleibt. Ich war wie erstarrt.
Ich war wie erstarrt
Viel Zeit zum traurig sein blieb aber erst mal nicht. In diesem Moment erwartete man von uns sehr schnell viele Entscheidungen. Es war meine erste Fehlgeburt und ich hatte keinen blassen Schimmer davon, wie ich mit so einer Situation am besten umgehe. Eine Art Broschüre mit den wichtigsten Informationen wäre in diesem Moment sehr hilfreich gewesen.
Was kommt auf uns zu? Was passiert als nächstes? Welche Entscheidungen müssen getroffen werden? Und welche Optionen gibt es?
Medizinisch gesehen sind Fehlgeburten im ersten Schwangerschaftsdrittel fast normal, jede dritte Schwangerschaft endet vor der zwölften Schwangerschaftswoche. Früh verwaiste Eltern werden vielfach in ihrer Trauer nicht wahrgenommen, weil es gesellschaftlich nicht anerkannt ist. Leider werden immer noch viele Betroffene mit diesem einschneidenden Erlebnis allein gelassen, unzureichend begleitet und informiert. Hebammen, Sterbeammen und Trauerbegleiter stehen den Familien bei Bedarf, in dieser schweren Zeit, zur Seite. Wir müssen nur endlich dafür Sorge tragen, dass auch alle Eltern über diese Möglichkeiten zur Begleitung aufgeklärt werden. Beispielsweise wissen heutzutage immer noch viele Frauen nicht, dass sie auch nach einer Fehlgeburt Anspruch auf Betreuung durch eine Hebamme haben.
Bei einer frühen Fehlgeburt kommt hinzu, dass Verwandte und Freunde zu diesem frühen Zeitpunkt meistens noch gar nicht von der Schwangerschaft gewusst haben. Für das Umfeld ist es dadurch noch schwerer zu verstehen, worum die Familie überhaupt trauert. Dabei ist Verständnis genau das, was trauernde Eltern am meisten benötigen. Für die Trauer und den Schmerz, ist es ganz egal, wie früh ein Kind verstorben ist. Es ist immer ein Familienmitglied, das nicht mehr da ist. Das Kind, auf das ihr euch gefreut habt, ist gestorben. Eine Zukunft, die ihr euch ausgemalt habt, gibt es plötzlich nicht mehr.
Ich habe mich anfangs gefragt, ob ich über den Tod unserer Kinder genauso traurig sein darf wie Eltern, die ihr Kind kurz vor der Geburt, kurz danach oder gar noch später verlieren. Aber für Trauer gibt es keinen Maßstab, sie ist individuell verschieden und jeder erlebt es anders. Eine Fehlgeburt ist immer ein sehr persönlicher Schmerz.
Darf ich genauso traurig sein
Ihr als Eltern habt den Verlust eures Kindes zu verkraften, wo Außenstehende den Verlust viel rationaler sehen. Aus der eigenen Hilflosigkeit oder Unsicherheit der Menschen aus dem Umfeld resultieren häufig Floskeln wie „Seid froh, dass es so früh passiert ist“, „Es war ja noch kein richtiges Kind“, oder „vielleicht war es besser so“.
Für mich war das Schlimmste, dass meine Kinder so früh gestorben sind. Sie sind gestorben, bevor ich sie kennenlernen durfte. Ich hätte sie gerne gespürt, sie auf den Arm genommen, sie nur ein einziges Mal gesehen. Die Trauer und der Schmerz sind anders, da man häufig außer einem Ultraschallbild keine „greifbaren“ Erinnerungen hat.
Die Erinnerungen sind viel mehr mit Gefühlen verbunden, die du bei dem Gedanken an eine Zukunft mit deinem Kind hattest. Oft musst du dich direkt nach dem Verlust wieder in den Alltag stürzen und funktionieren. Es wäre schön, wenn es auch nach einer frühen Fehlgeburt so etwas wie Mutterschutz oder Elternzeit geben würde. Denn es braucht Zeit. Zeit zum Verarbeiten und Trauern. Zeit zum Heilen. Eine Krankschreibung oder zwei Tage Sonderurlaub nach einem Trauerfall werden den Bedürfnissen der trauernden Eltern nicht gerecht. Es gibt dafür oft sehr wenig Verständnis und das Umfeld erwartet, dass der Verlust schnell überwunden wird.
Einige Wochen nach der Fehlgeburt hat mit mir eigentlich niemand mehr darüber gesprochen. Eine Gesellschaft, die bei einem Thema verstummt, dass zum Leben dazu gehört? Das sollte nicht sein.
Ich wünsche mir, dass die Menschen offen über Themen wie Sterben, Tod und Trauer sprechen können. Ich wünsche mir, dass in Zukunft alle Eltern in ihrer Trauer gesehen werden, egal wie lange ihr Kind gelebt hat. Ich wünsche mir, dass alle Familien umfassend und ihren Bedürfnissen entsprechend begleitet werden.