Spannung teilen
Sie liegt in ihrem Bett, klammert sich ganz fest an der Aufrichtehilfe über ihr, der kleine, fragile Körper in Anspannung und ständiger Bewegung. Sie zu fragen, was ihr zu schaffen macht, geht nicht, dafür ist sie zu verwirrt. Aber, als ich ihr stattdessen meine Hände als Halt anbiete, versteht sie sofort und greift zu. Gemeinsam halten wir einander nun, schauen uns dabei in die Augen. Ja, ich feuere sie sogar an, noch fester zu halten. Das tut sie, ich ebenfalls.
Nicht vor der Spannung fliehen, sondern sie gestaltbar machen, denke ich. Und dann ein gemeinsames Ausatmen, aaah. So halten wir uns und bei jedem Ausatmen lösen wir die Anspannung der Hände und tönen gemeinsam. „Das tut so gut“, kommt von ihr.
Sie braucht jemanden, der in ihre Anspannung miteinsteigt, um diese im Miteinander zu lösen.
Irgendwann singen wir Töne und Wörter, die ihr durch den Sinn gehen, z. B. „Sterne am Himmel“. Und ich stimme daraufhin an: „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“. Als ich mich verabschiede, liegt sie lächelnd in ihrem Bett, tönt mit jedem Ausatem, bewegt ihre Arme tänzerisch durch die Luft.
Manchmal es ist ein unbequemer Moment, der geteilt werden will, damit dadurch in der Begegnung Raum für Veränderung entstehen kann.
Kommunikation ohne Worte – KoW®
Sprachlosigkeit überwinden durch Körpersprache
Wenn ein Mensch aufgrund einer Erkrankung oder einer emotionalen Ausnahmesituation sprachlich nicht erreichbar ist, sind Worte nicht mehr der eigentliche Weg, um mit ihm in Kontakt zu treten. Auch der schwerkranke oder sterbende Mensch kann oder will oftmals nicht mehr viel sprechen. Dennoch kommuniziert er – ohne Worte.
Seit über 20 Jahren erlebe ich diese Situationen ganz praktisch in meiner Tätigkeit als Therapeutin im Hospiz. Wenn der Mensch nicht mehr sprechen kann, gerät er leicht in Isolation. Auch viele der Mitarbeiter, Angehörigen oder Ehrenamtlichen fühlen sich in solchen Momenten unsicher oder hilflos. Das hat mich dazu bewogen, aus der Praxis für die Praxis das Konzept Kommunikation ohne Worte – KoW® zu entwickeln. Denn empathische nonverbale Kommunikation ist mehr as eine Begabung: sie ist eine erlernbare Kompetenz.
Den körperlichen Ausdruck des kranken Menschen verstehen zu lernen, führt zu mehr Sicherheit. Die eigenen nonverbalen Möglichkeiten zu entdecken und diese gezielt anwenden zu können, erweitert den Handlungsspielraum. Dadurch kann eine Brücke zum Gegenüber gebaut werden, ein Raum des Miteinanders entsteht und auch schwierige Situationen können leichter bewältigt werden.
Die „Momente der Begegnung“ spiegeln wider, was dadurch zwischen Menschen möglich wird, selbst in den Grenzsituationen des Lebens.