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Mein Leben

mit Depressionen

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Es war herrliches Wetter, die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, doch ich fühlte mich richtig richtig schlecht. Nicht krank, dass war es nicht, aber mir fehlte sämtliche Energie. Ich war schlapp, hatte keine Lust aufzustehen, mir die Zähne zu putzen oder sonst was. Doch eigentlich geht man bei Depressionen davon aus, dass sie einen in der dunklen und tristen Jahreszeit erwischen muss, oder?!

Hallo, mein Name ist Vanessa und ich erkrankte mit 25 Jahren an Depressionen.

Der erste Impuls, den ich von vielen hörte, ist: „Du bist doch viel zu jung!“
Die Wahrheit ist, die Depression kennt kein Alter, auch Kinder können schon an Depressionen leiden. Erschreckend, oder?! Laut Deutscher Stiftung für Depressionshilfe sind drei bis zehn Prozent der Jugendlichen bereits depressiv. Im Grundschulalter sind es ein bis zwei Prozent der Kinder.

Doch was sind Depressionen überhaupt?

„Eine Depression ist eine weit verbreitete psychische Störung, die durch Traurigkeit, Interesselosigkeit und Verlust an Genussfähigkeit, Schuldgefühlen und geringes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit und Konzentrationsschwächen gekennzeichnet sein kann.
Sie kann über längere Zeit oder wiederkehrend auftreten und die Fähigkeit einer Person zu arbeiten, zu lernen oder einfach zu leben beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall kann eine Depression zum Suizid führen. Milde Formen können ohne Medikamente behandelt werden, mittlere bis schwere Fälle müssen jedoch medikamentös bzw. durch professionelle Gesprächstherapie behandelt werden. Für eine verlässliche Diagnose und Therapie im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung sind keine Spezialisten erforderlich. Die spezialisierte Versorgung ist allerdings für eine kleine Gruppe der Menschen mit komplizierten Depressionen oder für diejenigen erforderlich, die nicht auf die Behandlungen der primären Gesundheitsversorgung ansprechen.
Depressionen setzen oft in einem jungen Alter ein. Sie betreffen häufiger Frauen als Männer und Arbeitslose sind ebenfalls stärker gefährdet.“ *

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Wie haben sich die Depressionen bei mir geäußert?

Ich würde sagen, dass ich schon Jahre bevor es richtig heftig wurde, an Depressionen litt, aber niemand hat die Signale erkannt. Ich hatte wenig Freunde, meist nur oberflächliche Bekanntschaften, es fiel mir schwer Freundschaften zu pflegen, ich empfand es als anstrengend. Ich war total in mich gekehrt und zurückgezogen. Einzelgänger eben… Oft und viel allein in meinem Zimmer, TV und PC waren meine besten Freunde, später dann auch mein Handy, dank Social Media.


Bücher waren mein Halt, ich las unheimlich viel, so konnte ich aus meiner Realität in eine andere Schönere und Glücklichere abtauchen.

Der Auslöser meiner Depressionen liegt wohl bereits in meiner Kindheit, ich war ein klassisches Mobbingopfer. Streiche, fiese Sprüche, Rumgeschubse und Geschlage. Es fing bei mir bereits im Kindergarten an, wieso ausgerechnet ich? Ich habe bis heute keine Antwort auf diese Frage erhalten. Es zog sich konsequent durch meine Schulzeit bis zur neunten Klasse hin. Ich habe mich an meine Eltern, meine Lehrer und den Schulsozialarbeiter gewandt. Doch wirkliche Unterstützung bekam ich nicht, außer von meinen Eltern, diese brachten mich sogar zu einem Kinderpsychologen, aber selbst der nahm mich nicht wirklich ernst. Beruf verfehlt würde ich sagen. Von meinen Lehrern hieß es nur, an ihrer Schule gibt es kein Mobbing und ich soll mich doch wehren. Der Schulsozialarbeiter erklärte meinen Eltern, nach einem Gespräch mit mir, dass ich das alles nur erfinde, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

Liebe Eltern, wenn euer Kind euch berichtet, dass es gehänselt, geschlagen und gewürgt wird, bitte nimmt es ernst und handelt! Wenn die Schule keine Einsicht zeigt, dann meldet es auf einer anderen Schule an.

Meine Eltern haben mich nicht auf einer neuen Schule angemeldet, sie ließen mich nur eine Klasse zurückstufen, doch dadurch begegnete ich meinen Mobbern weiterhin, Ich war jeden Tag neuen Attacken ausgesetzt und meine neuen Klassenkameraden sprangen bald genauso mit mir um.
Irgendwann beginnt man als Kind an sich selbst zu zweifeln und redet sich ein, dass man all dies ja verdient hat. Denn sonst würden die anderen ja nicht so mit einem Umspringen. Mein Selbstbewusstsein und mein Selbstwertgefühl waren quasi nicht mehr vorhanden.
Als ich die Schule endlich wechseln durfte, weil meine Noten durch das Mobbing mehr als unterirdisch waren, blühte ich richtig auf. Ich hatte Freunde, fühlte mich an der neuen Schule sehr wohl und konnte endlich wieder wachsen.

Doch dann schlug das Schicksal mehrmals hintereinander sehr heftig und brutal zu.

Unsere Familie wurde nach meinem Schulabschluss sehr hart auf die Probe gestellt und drohte zu zerbrechen. Ein Teil meiner Verwandten sagte sich von uns los und wir konnten und wollten auch nicht mehr in unserem bisherigen Zuhause bleiben.

Alles wieder auf Anfang oder auch Neuanfang.

Die Jahre danach waren hart, alles war anders, neu und ungewohnt. Alle Freunde entfernten sich von mir und ich war plötzlich wieder ganz allein auf dieser Welt. So fühlte ich mich zumindest. Als ich dann auch noch eine Fehlgeburt hatte und sich mein Freund, mit dem ich zu dem Zeitpunkt erst sechs Monate zusammen war, von mir trennte, weil er mit mir nicht mehr klar kam, zerbrach etwas in mir.
Mein Verlust wurde von jedem unter den Teppich gekehrt, es war ja noch kein richtiges Kind und außerdem war es eh besser so. Ich durfte auch niemandem von diesem Verlust erzählen, denn das macht man nur mit sich aus. Ich habe sehr darunter gelitten, dass ich meine Trauer mit niemandem teilen konnte.
Doch dann traf ich meinen jetzigen Mann, mit ihm konnte ich über alles reden, was mir passiert war. Ich hatte zuerst große Angst, dass er denkt ich würde mir das alles nur ausdenken. Doch zu meiner Überraschung tat er dies nicht, er hörte mir weiterhin zu und fing mich auf. Er war mein Fels in der Brandung und ist es auch heute noch oft.

Du fragst dich jetzt bestimmt, wo mein großer Ausbruch bleibt, oder?!

Dazu komme ich jetzt. Innerhalb kürzester Zeit verlor ich zwei Menschen, die mir früher mal sehr wichtig waren. Mit diesen hatte ich aufgrund unserer familiären Situation nichts mehr zu tun, was auch in Ordnung so war, doch es blieb so vieles ungeklärt… Und genau das machte es für mich ganz schwer, ich weinte. Ich weinte als ich von ihrem Tod erfuhr, ich weinte als ich auf ihren Beerdigungen war und ich weine heute noch manchmal deswegen. So viele Dinge sind unausgesprochen, eine Versöhnung unerreichbar.

Einige Wochen später fiel mein Opa nach einer Gallen-OP in ein Koma. Er wachte nach der Narkose nicht mehr auf. Was wir bis dahin nicht wussten, mein Opa war an COPD (unheilbare Lungenkrankheit) erkrankt und hatte zudem einen Lungentumor. Seine Atmung versagte und er wurde über ein Röhrchen in seiner Luftröhre beatmet. Er wachte ganze vier Monate nicht auf und wir hatten schon darüber gesprochen, ob es nicht sinnvoller sei, seine Geräte abzuschalten und ihn gehen zu lassen. Doch er kämpfte sich zurück und durfte noch drei Jahre bei uns bleiben, zwar permanent an einem mobilen Sauerstoffgerät und später ans Krankenbett gefesselt. Aber er hatte noch drei Jahre mit seinen Liebsten und durfte noch viel Zeit mit seiner heißgeliebten Urenkelin verbringen. Er starb an Weihnachten 2016 in dem er friedlich einschlief und einfach nicht mehr aufwachte.

In diesen drei Jahren wurde bei meinem Mann ebenfalls ein Tumor entdeckt, noch klein, aber in der OP stellte man fest, dass er bösartig war. Es waren vier sehr harte Schicksalsschläge innerhalb von drei Jahren, die ich einfach nicht verkraften konnte. Hinzu kam noch Stress mit meinem Ausbildungsbetrieb und meiner Tochter, sowie meinem Mann gerecht zu werden.
Es staute sich einfach zu viel an und irgendwann, war die Spitze des Eisbergs erreicht. Im Juni 2016 konnte ich nicht mehr, ich hatte einen totalen Nervenzusammenbruch. Ich weinte nur noch, den ganzen Tag. Teilweise schlief ich drei Tage in Folge gar nicht und aß kaum was. Ich ging nicht duschen, zog mir keine saubere Kleidung an und schaffte weder die Versorgung meiner Tochter noch meinen Haushalt.

Mein Umfeld bekam davon nichts mit, war ich ja eh immer in mich gekehrt und meldete mich von mir aus eher selten. Als ich dann komplett durchdrehte und zu meinem Mann sagte ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, dass er und unsere Tochter ohne mich besser dran seien und mich eh keiner vermissen würde, schleppte er mich zu unserem Hausarzt.

Diagnose: akute schwere Depression.

Ich bekam Antidepressiva und suchte mir eine Therapeutin. Mein Mann versteckte in dieser Zeit alle Messer im Keller und hatte Angst mich allein zu Hause zu lassen.
Die Antidepressiva brauchten ca. 14 Tage bis sie soweit aufgebaut waren, dass sie mir halfen, doch ich mochte sie überhaupt nicht. Sie stumpften mich ab. Ich hörte zwar weniger Stimmen in meinem Kopf, die mir einredeten nicht gut genug zu sein und dass es besser wäre, wenn ich diese Welt verlassen würde, aber ich fühlte generell auch nichts mehr. Ich kam mir vor wie ein Roboter, was für einen absoluten Gefühlsmenschen wie mich, unheimlich hart war.

Drei Monate nach der Diagnose begann meine Therapie, einmal die Woche für 50 Minuten ging ich drei Jahre hin. Wir arbeiteten meine Kindheitstraumata auf, dass allein dauerte fast anderthalb Jahre. Danach kamen wir langsam von meiner jüngeren Vergangenheit in die Gegenwart, auch hier arbeiteten wir anderthalb Jahre lang alles auf.

Doch es lohnte sich, die Therapie war anstrengend und wühlte vieles wieder auf, aber es ging mir auch besser. Oftmals stellte ich alles in Frage und zweifelte an einem Erfolg, weil es mir meist nach den Sitzungen erstmal wieder schlechter ging, doch das musste so sein, damit es mir wieder besser gehen konnte. Nach sechs Monaten Therapie konnte ich die Antidepressiva wieder absetzen und bekam immer wieder neue Strategien und Werkzeuge an die Hand, wie ich mit den depressiven Phasen besser umgehen kann. Von frühzeitig erkennen und dagegen steuern über wie komme ich leichter aus einer akuten Phase wieder raus.

Im September 2017 hatte ich erneut eine Fehlgeburt, auch dieses Erlebnis war richtig beschissen. In der Klinik wurde ich allein gelassen, Informationen wurden mir vorenthalten und es wurde mit mir umgangen wie mit einem Gegenstand auf dem Fließband. Auch hier suchte ich meine Therapeutin wieder auf, sie half mir das Erlebte besser verarbeiten zu können und wir konnten dadurch auch eine erneute akute Episode der Depression abwenden.

Nach der Fehlgeburt kamen wieder erneut Sprüche wie, ich soll für mich trauern. es sei noch kein Kind gewesen und meine Trauer wäre absolut übertrieben, so etwas passiere ja schließlich so vielen Frauen und von diesen höre man ja auch nichts.
Von der Klinik kam auch keine wirkliche Betreuung. Es wird eine Ausschabung durchgeführt und wenn es einem danach wieder besser geht, körperlich, wird man vor die Tür gesetzt. Ohne Hilfsangebote und ohne Informationen über die Bestattungsmöglichkeiten seines Kindes unter 500g.

Der Umgang mit depressiven Menschen

Danach fasste ich den Entschluss, dass sich allgemein am und im Umgang mit Trauernden etwas ändern muss. Nicht nur in Bezug auf Sterneneltern, sondern in Bezug auf alle, ob Witwen, Witwer, Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. Denn die ungelebte Trauer kann Depressionen zur Folge haben, hier kann man im Vorfeld schon sehr viel präventiv bewegen. Und auch im Umgang mit depressiven Menschen muss einiges getan werden. Es kann nicht sein, dass man als Depressiver gesagt bekommt, dass man sich nicht so anstellen soll, weil schließlich jeder mal einen schlechten Tag hat. Dies hilft dem Depressiven in keinsterweise, sondern verschlimmert seine Depression nur noch.

Depressive Menschen können weder rational denken noch handeln, wenn sie in einer Episode gefangen sind. Sie können eben nicht dies und das und jenes tun. Erwartungen an einen depressiven Menschen zu stellen ist so, als würde man einem Schwein klar machen wollen, dass es fliegen kann. Begegnet depressiven Menschen mit Rücksicht und Verständnis, bietet eure Hilfe an, schnappt diesen Menschen und unternimmt einfach etwas mit ihm. Fragt nicht lange nach, sondern geht hin und sagt: “Wir machen jetzt das, zieh dich an!“.
Depressive Menschen können keine Entscheidungen treffen, dass müsst ihr für sie tun. Damit sind keine Entscheidungen wie ein Hauskredit oder Einweisung gemeint, aber unterstützt diese Menschen, wo ihr nur könnt. Ladet ihn/sie zum Essen ein, bringt ihm Essen vorbei und isst mit ihm gemeinsam. Auch wenn er euch zunächst abblocken wird, so ist er am Ende glücklich, dass ihr da seid.

*Quelle: Health topics (who.int)

Me Spera, zertifizierte Trauerbegleiterin und psychologische Beraterin, aus Saarbrücken

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