Du solltest hier sein

Ein Trauerbrief

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Ralph Rabago - Pexels

Du solltest hier sein.

Immer hier, mit mir.

Es ist sehr lange her und ich spüre diese eine Stelle im Herzen – die fühlt sich an, wie am ersten Tag.

Sie ist eine Wunde, die nie ganz heilen will. Sie ist lebendig und pulsiert.

Mal spüre ich sie deutlich, dann wieder ist sie einfach nur da. Manchmal glaube ich, dass sie die letzte sichere Verbindung zu dir ist und dann bricht die Wunde auf und blutet. Für diese Momente und Gefühle gibt es keine Worte.

Was bleibt, wenn alles fehlt?

Ich hätte dich nie mehr gebraucht, als zu dem Zeitpunkt, als du gegangen bist. Deine Nähe, deine Gedanken und Worte, deine Umarmung und deine Zuversicht, dass ich – auch wenn ich es nicht geglaubt hätte, ein Leben ohne dich überleben kann.

Lange war ich blind und taub – weil ich es musste. Ich hielt mich mit aller Kraft, obwohl ich haltlos fiel. Sah mir bei diesem fremden, schmerzenden Leben zu und versuchte alles zu verstehen, obwohl ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. War mir selbst fremd und doch in mir gefangen.

Das Leben fragt nicht und doch ist es das Leben, das blieb, als alles fehlte.

Das Leben hätte ich gerne mit dir geteilt.

Alles, wirklich alles, was dich ausmacht, hüte ich in meinem Herzen, wie einen Schatz. Deine Stimme ist keine Erinnerung mehr, sie hat sich zu einem Gefühl verwandelt. Dein Lachen und dein feiner, trockener Humor – den ich immer noch vermisse – begegnet mir in anderer Form, wärmt wieder mein Herz und macht es weit. Das spüren zu können, musste ich neu lernen.

Diese lebendige, pulsierende Stelle in meinem Herzen ist schon alt. Mag sein, dass sie die letzte sichere Verbindung zu dir ist, ist sie doch auch Beweis, dass unsere Verbindung überlebt, bis nach diesem Leben, dass nicht fragt.

Und da ist wieder ein neuer Brief –  den du nie lesen wirst.

Du hättest hier sein sollen.

Du solltest hier sein – ja, dass solltest du…


Briefe an Verstorbene sind eine Möglichkeit seiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Es kann im Trauerprozess helfen, die eigenen Gedanken und Gefühle zu ordnen und der inneren Zwiesprache eine äußere Form zu geben.

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