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Begegnung mit dem Tod

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Sie sagen, der Tod sei ein grimmer Schnitter, der unheimliche Sensenmann, der in schwarz gehüllt einherschreitet. Sie sagen, der Tod sei etwas, wovor man sich fürchten müsse, doch wieder andere meinen, der Tod bringe als ein alter Freund die Erlösung von dem Leiden dieser Welt.

Als ich das Zimmer betrete, spüre ich sofort, dass etwas sich verändert hat. Ich bleibe im Türrahmen stehen, und blicke auf das Bett drüben an der Wand. Kein schweres, rasselndes Atmen ist mehr zu hören. Die so vertrauten Gesichtszüge sind zu einer Maske erstarrt, der Mund steht leicht offen, die Haut wirkt dünn und durchsichtig wie Transparentpapier. Durch das einen Spalt weit offene Fenster weht eine frische Brise in das Zimmer herein. Er sieht weder leidend noch glücklich aus, weder überrascht noch unzufrieden. Sondern einfach nur fremd, wie ein Gegenstand, eine leere Hülle. Der Körper liegt hier auf diesen weißen Lacken, mit Blütenblättern bestreut. Doch alles, was diesen Menschen einmal ausgemacht hat, fehlt. Wohin sind jenes besondere Lächeln, die Hilfsbereitschaft, die sich hinter seiner rauen Hülle versteckte, die Ungeduld und der messerscharfe Intellekt? Wo sind all seine Überzeugungen, all die großen Träume geblieben? So schnell, im Bruchteil einer Sekunde, kann ausgelöscht werden, was doch unendlich sein wollte. Wie ist das möglich? Was wird aus der kleinen Tochter, jetzt, wo niemand mehr am Sonntag Apfelkuchen bäckt, niemand ihr vor dem Zubettgehen eine Gutenachtgeschichte vorliest? So viele kreisende Gedanken, seltsame, ungebetene Gedanken.

Ich sollte Schmerz fühlen, Trauer. Um was genau eigentlich? Was bestimmte meine Beziehung zu ihm? Biologie, Meinungsverschiedenheiten, manchmal Furcht. Und zwischen alledem, doch noch etwas Anderes. Dankbarkeit. Vielleicht sogar ein zerbrechlicher Hauch von Liebe. Etwas, das ich nie gesehen habe, weil ich es nie sehen wollte.

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Der Tod hat nur für die Lebenden eine Bedeutung

Annelie Neubauer

Aber in diesem Moment fühle ich nichts. Nichts außer einer gähnenden Leere in meinem Inneren, und was mir meine Sinne mitteilen, kommt doch nicht ganz im Bewusstsein an. Scheint zu überwältigend, zu surreal. Unsere Gene verbanden uns, ob wir es wollten, oder nicht. Für immer. Nun, das war einmal, bevor er dieser Welt so grausam, so sinnlos entrissen wurde. Für immer. Diese beiden Worte, nicht einmal ausgesprochen, hallen in den Tiefen meines Bewusstseins nach. Für immer. Diese Unendlichkeit ist zu groß, nicht zu fassen für einen Geist, der nichts als ein kurzes Aufflackern im grenzenlosen, kalten Universum ist. Und wenn diese Flamme erlischt, dann hat dieses Ereignis nichts Heroisches, nichts Romantisches. Der Tod ist ein gleichgültiges, kaltes Nichts. Ein ewiges Nichts. Vergessen, und vergessen werden.

Der Tod hat nur für die Lebenden eine Bedeutung, nur sie spüren den Schmerz jenes Verlustes. Und alleine die Endlichkeit bringt uns bei, die so schnell verrinnenden Sekunden, Stunden und Jahre unseres Lebens auszukosten, mit einer wilden Leidenschaftlichkeit am Leben selbst und an den uns lieben Menschen zu hängen. Die Zeit für Liebe ist vor dem Tod.

Ansonsten steht man womöglich, eines nicht allzu fernen Tages, vor demselben weißen Bett. Demselben Scherbenhaufen. Und was war, ist nicht mehr wiedergutzumachen. Offene Fragen, Schmerz, Reue, ein leerer Platz am Essenstisch und im Herzen sind, was bleibt. Das Gefühl von Verlust wird kommen, vielleicht. Es kommt in Wellen, so sagen sie. In diesem Moment jedoch bin ich vor allem erschöpft, emotional ausgebrannt. Hoffnungslos verwirrt.

Mit starrer Miene und schwerfälligen Schritten nähere ich mich dem Toten. Jemand hat seine Augen bereits geschlossen, aber dass er nicht aus diesem Schlaf erwachen wird, ist offensichtlich. Ich beuge mich zu ihm herunter, murmele in die vollkommene Stille hinein nur ein einziges Wort.

Entschuldigung“.

Zu spät. Sinnlos. Die Erleichterung bleibt aus, und es geschieht mir Recht.

Gefasst, vermutlich zu gefasst, wende ich mich von ihm ab und trete wieder auf den Gang hinaus. Hinter mir fällt die Tür zu Zimmer sieben mit einem endgültigen Klicken ins Schloss.

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by Annelie Neubauer
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