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„Befreiend“

Davisuko unsplash
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Alexandra Kossowski Kolumne 'LEID & FREUD'
4-2021

Circa 20 Personen sitzen, knien, stehen abwechselnd am offenen Sarg ihrer Verstorbenen.

Die Enkel haben Briefe geschrieben und lesen sie vor. Manche sitzen etwas weiter entfernt und hängen ihren Gedanken nach. Manche sind rausgegangen um frische Luft zu schnappen. Manche trinken etwas und stärken sich.

Zum Ende sitzen wir alle ganz nah bei der Verstorbenen. Es ist „totenstill“ im Raum und trotzdem sind wir alle verbunden. Es ist spürbar. Eine Spannung, aber eher wie Strom der fließt und kein „angespannt sein“. Der Moment, in dem sich Leben und Tod begegnen, oder zumindest so begegnen, dass wir es auch sehr deutlich wahrnehmen. Der Tod ist ja nicht nur da, wenn wir eine*n Tote*n vor uns liegen haben.

Es hat fast etwas Weihnachtliches. Die Verstorbene im Mittelpunkt, wie der Baum, der leuchtet, unter den wir unsere Geschenke legen. Geschenke bekommt sie auch.

Zu Anfang war die Anspannung deutlich spürbar.
Die Angst “Wie wird sie jetzt aussehen?”
Die Angst “Traue ich mir überhaupt zu an den Sarg zu treten?”
Die Angst “Ist das zu viel für die Kinder?”

Zuerst ist es eine Überwältigung. Schluchzen, weinen, das Gefühl die Trauer schwemmt einen jetzt weg, der Atem stockt kurz. Doch dann -ganz langsam- löst sich etwas.
Neugier kommt. Erinnerungen. Berührungsängste schwinden. Auf einmal werden alle geschäftig. “Was wollen wir noch sagen?”
“Weißt Du noch, als wir damals….”, alle erinnern sich und lachen.

Die Kinder sehen die Malfarben, die wir mitgebracht haben und auf einmal bildet sich eine Traube um den Sargdeckel. Es wird bunt. Und sehr haptisch. Farbe an den Händen, das Holz anfassen, Stifte nehmen, schreiben. Und dann machen auch die Großen mit.

“Noch näher geht’s nicht” sagt jemand. Und genau diese Nähe ist so wichtig. Ein letztes Mal.

“Ich hätte nicht gedacht, wie befreiend das sein kann.” sagt eine Dame zu uns im Vorbeigehen.

Hilfreicher Einstieg in den Trauerprozess

Also muss jetzt jede*r seine*n Verstorbene*n nochmal angucken, anfassen, einen Brief schreiben und seinen*ihren Sargdeckel anmalen, damit das mit der Trauer klappt?

Nein, natürlich nicht. Es ist eine Möglichkeit bereits sehr früh, sehr konkret und sehr greifbar Abschied zu nehmen und der Trauer einen riesen Raum zu geben. Und wie immer:
Trauer bleibt individuell, so wie der Weg, damit umzugehen.

Das alles ist ja nichts Neues, das sich irgendwer ausgedacht hat. „Früher“ war es vollkommen normal Verstorbene nochmal zu waschen, anzukleiden und zu verabschieden. In vielen Kulturen ist es das immer noch.

Die Zeit zwischen Tod und Beisetzung ist so kurz. Gleichzeitig brauchen Trauer und Abschied viel Zeit. Lasst uns die Phase zwischen Versterben und Bestatten nutzen. Lasst uns bewusst teilhaben am Übergang eines Körpers und einer Seele in das Jenseits/eine andere Welt/das Universum/was auch immer Du glaubst. Lasst uns ein Ritual daraus machen. Einen Übergangsritus.


Rituale sind dazu da Umbrüche im Leben feierlich zu beenden und das Neue einzuleiten. Und das Neue bedeutet nicht, dass es das Alte ersetzt oder verdrängt. Es bedeutet, dass uns das, was wir vom Alten gelernt haben vorbereitet hat auf das, was nun kommt.

Unsere Verstorbenen geben uns so viel mit. Wir lernen von ihnen, wurden inspiriert, geprägt, manchmal auch verletzt. Das alles darf bleiben und sich verändern. Natürlich können wir auch loslassen, wenn es sich für uns passend anfühlt oder uns von etwas Unangenehmem befreien. Die Erfahrung jedoch bleibt und somit auch das Vermächtnis der Verstorbenen. Und dazu dürfen wir uns Zeit nehmen….

Es kann die Trauer ein Stück weit befreien.

Kolumne 'LEID & FREUD'
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